Tatsache Evolution
und Grünalgen (Chlorophyta ) jeweils ganz unterschiedliche mehrzellige Organismengruppen hervorgebracht (Symbiogenese als Motor der Makroevolution). Der hypothetische phagocytotische Eukaryot (Wirtszelle der primären Endosymbiose) ist auch in Abb. 8.6 B dargestellt. Mio. J = Millionen Jahre vor heute (nach Kutschera, U.& Niklas, K. J.:
Theory Biosci
. 127, 277 – 289, 2008).
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|255| Merezhkowskys Kronzeugen: Paulinella und Cyanophora paradoxa
Wie Charles Darwin hat sich auch Merezhkowsky in manchen Details geirrt. So identifizierte er z. B., wie bereits erwähnt, die Mitochondrien nicht als abgeleitete Bakterien – diese grundlegende Einsicht brachte Wallin (1927) in die Evolutionsforschung ein. Weiterhin betrachtete Merezhkowsky (1905, 1910, 1920) die Pilze (Fungi) als direkte Nachkommen gewisser Bakterien (Biococci), ohne dass hier eine Endosymbiose stattgefunden haben soll. Diese These ist unzutreffend. Ein weiterer Schwachpunkt in Merezhkowskys Schema (Abb. 8.5) ist der postulierte zweifache Ursprung der Organismen auf der jungen Erde (Biococci, d. h. Bakterien, und Monera, d. h. hypothetische amöbenartige Zellen ohne Kern). Auch hier irrte sich der russische Biologe (s. Kapitel 10). Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass auch die von Darwin (1859/1872) formulierte »Proto-Euglena-Hypothese « zum Ursprung der ersten Zellen unzutreffend ist (s. Kapitel 10).
Merezhkowskys große Verdienste, die ihn zu einem noch im »Darwin-Jahr 2009« häufig zitierten Autor in der Fachliteratur zur Evolutionsforschung gemacht haben, können abschließend wie folgt zusammengefasst werden. Merezhkowsky erkannte und formulierte in aller Klarheit, dass die Chloroplasten der »grünen Organismen der Erde (Algen, Pflanzen)« aus ehemals frei lebenden Cyanobakterien hervorgegangen sind, und hat damit unser Verständnis von der Physiologie und der Evolution der Pflanzen entscheidend vorangebracht. Wie bereits dargelegt, führte Merezhkowsky (1905) u. a. die 1895 beschriebene Süßwasser-Thecamöbe
Paulinella chromatophora
als Symbiogenese-Beweisorganismus auf (Abb. 8.8 A). Heute wissen wir, dass
Paulinella
in der Tat eine Eucyte darstellt, deren Chromatophoren (Cyanobakterien bzw. Cyanellen) vor wenigen Jahrmillionen aufgenommen wurden und auf dem evolutionären Weg zum echten Chloroplasten sind.
Zwei Jahre nach Merezhkowskys Tod wurde von einem russischen Biologen die begeißelte Grünalge
Cyanophora paradoxa
entdeckt (1923). Dies »paradoxe« Süßwasser-Mikrobe enthält |256| im Cytoplasma keine typischen Chloroplasten, sondern endosymbiontisch lebende Cyanobakterien, die als
Cyanellen
bezeichnet werden. Die auch als »Cyano-Plastiden« bekannten Organellen sind abgewandelte Cyanobakterien, die dabei sind, den evolutionären Übergang zum Chloroplasten zu vollziehen, und repräsentieren daher lebende Zwischenformen (
Connecting
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) der Zell-Evolution. Wir können somit die Alge
C. paradoxa
(und verwandte Organismen, wie z. B.
Paulinella
chromatophora
) als »Merezhkowskys Kronzeugen« bezeichnen (Abb. 8.8 A, B), wobei in beiden Fällen eine »relativ junge« primäre Endosymbiose im Voranschreiten ist, die unabhängig von jenen archaischen Symbiogenese-Prozessen abläuft, die vor 1500 bis 1200 Mio. J. in den Ozeanen zu den Chloroplasten-Vorläufern geführt hat. Diese evolutionären »Cyano-Organellen « beweisen, kombiniert mit der Zwischenform
Reclinomonas americana
(heterotrophe Einzeller, der bakterienartige Mitochondrien enthält), dass Merezhkowskys und |257| Wallins Schlussfolgerungen im Prinzip korrekt waren (Kutschera 2008 a).
Abb. 8.8: Einzellige Süßwasser-Organismen (Protoctista), die evolutionäre Zwischenstufen einer vor wenigen Jahrmillionen abgelaufenen und daher noch jungen Endosymbiose repräsentieren. Die wichtigsten »Kronzeugen« der Symbiogenesis-Theorie , die 1895 beschriebene Schalen-Amöbe
Paulinella chromatophora
(A) und die 1923 entdeckte, ebenfalls zwei chloroplastenähnliche Cyanobakterien (Cyanellen) enthaltende begeißelte Grünalge
Cyanophora paradoxa
(B) sind schematisch dargestellt. Cyane = Cyanellen (Cyano-Plastiden), Fl = Flagellen (Geißeln), Ps = Pseudopodien (fußartige Auswüchse).
|257| Der zweite bleibende Verdienst des russischen Biologen liegt in seinen allgemeinen Theorien zur Evolution der Organismen begründet. Mit der Formulierung des Prinzips der Symbiogenese (heute in der Regel als serielle primäre bzw. sekundäre Endosymbiose bezeichnet) hat
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