Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
auch dies ein Eingang zur Unterwelt, glitschige Stufen führten hinab, und hinter schmutzigen Scheiben sah Emilia im Licht von Alabasterlampen, schweren birnenförmigen opalisierenden Leuchtglocken, die er einmal aus dem Nachlaß eines Selbstmörders gekauft hatte und bis jetzt nicht wieder losgewordenwar, Unverlachts gewaltige Glatze glänzen. Er war von untersetzter breitschultriger Gestalt; wie ein Möbelpacker sah er aus, der eines Tages entdeckt hatte, daß es leichter und einträglicher sei, mit altem Hausrat zu handeln, statt ihn zu tragen, auch wie ein stämmiger Dicker, der in einer Ringkämpfertruppe den bösen Mann mimt, doch sicher war er weder Packer noch Ringkämpfer gewesen, vielleicht ein Frosch, ein hinterhältiger plumper Frosch, der in seinem Gewölbe auf Fliegen wartete. Emilia stieg hinab, öffnete die Tür, und schon grauste es sie. Ihre Haut zog sich zusammen. Das war kein Froschkönig, der zur Tür blickte, mit kalten wässerigen Augen, Unverlacht war wie er war, un-verzaubert, und keine Entzauberung war zu erwarten, kein Prinz würde je aus dem Froschkleid springen. Ein Musikmechanismus, durch Emilias Eintritt in Bewegung gesetzt, spielte ein-feste-Burg-ist-unser-Gott. Das war bedeutungslos, kein Bekenntnis. Unverlacht hatte den Mechanismus wie die Lampen billig erworben und wartete nun auf einen Käufer für diese Schätze. Was die Lampen betraf, war es dumm von ihm, sie verkaufen zu wollen: sie gaben mit ihrem Alabasterschein seinem Gewölbe den echten Hadesschimmer. »Na, Sissy, was bringst du?« sagte er, und die Froschflossenhand (wirklich, die Finger waren wie mit hornschuppigen Schwimmhäuten zusammengewachsen) hielt Emilia schon am Kinn gefaßt, ihr kleines Kinn glitt in die Wölbung der Froschhand wie in einen Schlund, während Unverlachts andere Hand ihren jungen und strammen Hintern betastete. Aus einem nicht klaren Grund nannte Unverlacht Emilia Sissy; vielleicht erinnerte sie ihn an eine wirkliche Trägerin dieses Namens, und Emilia und die unbekannte, vielleicht lange schon begrabene Sissy verschmolzen in dem Gewölbe zu einem Wesen, dem der Besitzer mit geiler Zärtlichkeit begegnete. Emilia drängte sich von ihm los. »Ich will über Geschäfte reden«, sagte sie. Auf einmal wurde ihr schlecht. Der Gewölbedunst benahm ihr den Atem. Sie ließ ihr Plaid zu Boden fallen und warf sich ineinen Stuhl. Der Stuhl war ein Schaukelstuhl, der durch den Schwung, mit dem sie in ihn geplumpst war, in heftige Schwingungen geriet. Emilia war es, als reise sie in einem Boot über das Meer; das Boot schaukelte auf hoher See; ein Ungeheuer hob sein Haupt aus den Wellen; ein Schiffbruch drohte; Emilia fürchtete, seekrank zu werden. »Hör auf, Sissy«, rief Unverlacht. »Ich hab kein Geld. Was denkst du? Das Geschäft geht nicht.« Er betrachtete die auf und ab wippende Emilia; er sah sie vor sich, unter sich, hingestreckt im Schaukelstuhl, ihr Rock war hochgerutscht, er sah über den Strümpfen die nackten Oberschenkel; ›Kinderschenkel, dachte er; er hatte eine dicke und eifersüchtige Frau. Er war mißmutig. Emilia erregte ihn, die Kinderschenkel erregten ihn, das müde verzogene Gesicht eines müden und verzogenen kleinen Mädchens hätte ihn betören können, wenn er begabt gewesen wäre, einem anderen als dem Impuls der Gewinnsucht zu folgen. Emilia war für Unverlacht was Feines, ›diese gute Familie‹, dachte er, er begehrte sie, aber er begehrte sie nicht wirklicher als ein Bild in einem Magazin, an dem man sich erregt, und er wollte nicht mehr, als sie betatschen, aber schon das Betatschen konnte das Geschäft stören: er wollte wohl von Emilia kaufen, er tat nur so, als ob er kein Geld habe, das gehörte zum Handel, es waren gute Sachen, die Emilia anbot, ›aus so feiner Familie aus so reichem Haus‹, und sie gab sie billig her, hatte keine Ahnung von ihrem Wert, ›was für ne kleine Hose sie anhat, es ist als ob sie gar keine anhat‹, aber jede Sekunde konnte Frau Unverlacht, eine fettkrustige böse Kröte, in das Gewölbe treten. »Hör mit der Schaukelei auf! Was bringst du, Sissy?« Er duzte Emilia; es machte ihm Freude, sie wie ein kleines verhurtes Gassengör zu duzen, und wieder dachte er ›die feine Familie, so eine feine Familien Emilia raffte sich auf. Sie öffnete das Plaid. Ein kleiner Gebetsteppich kam zum Vorschein; er war zerrissen, aber man konnte ihn stopfen. Emilia breitete ihn aus. Philipp liebte diesen Teppich, liebte sein feines Muster, dieschwingende
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