Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
blaue Ampel auf rotem Grund, und Emilia hatte grade diesen Teppich mitgenommen, sie hatte ihn mitgenommen, weil Philipp ihn liebte und weil sie Philipp strafen wollte, weil er kein Geld hatte, und weil sie aufs Leihamt und zu Unverlacht gehen mußte, und weil es ihm gleichgültig zu sein schien, daß er geldlos war und sie mit Bettlerdemut ihre Sachen verschleudern durfte, manchmal sah Emilia Philipp als einen Oger, doch dann wieder als den ihr geschickten Retter, von dem alles zu erwarten war, Überraschung, Schmerz, aber auch Glück, Ruhm und Reichtum, und es tat ihr leid, daß sie ihn quälte, und am liebsten wäre sie nun auf dem Gebetsteppich niedergekniet und hätte gebetet, hätte Gott und Philipp um Verzeihung gebeten für ihr Schlimmsein (sie gebrauchte den Kinderausdruck), aber wo war Gott und wo lag Mekka, wohin sollte sie sich mit ihrem Gebet wenden? Unverlacht, von keiner Reue belästigt, von keinen religiösen Skrupeln gepeinigt, stürzte sich geschäftig auf die Risse im Teppich. Sie begeisterten ihn zu Triumphschreien: »So ein Fetzen! Nur Löcher! Diese Risse! Wertlos, Sissy, morsch, brüchig, wertlos!« Er knüllte die Wolle zusammen, hielt sie sich an den kahlen Schädel, legte das Ohr an den Teppich, schrie: »Er singt!« - »Was tut er?« fragte Emilia, für eine Weile verblüfft. »Er singt«, sagte Unverlacht, »er knistert, er ist brüchig, ich will dir fünf Mark geben, Sissy, weil du's bist und weil du ihn hergeschleppt hast.« - »Sie sind verrückt«, sagte Emilia. Sie bemühte sich, ihrem Gesicht den Ausdruck kalter Uninteressiertheit zu geben. Unverlacht dachte ›hundert ist er wert‹, zwanzig würde er schlimmstenfalls zahlen. Er sagte: »Zehn in Kommission; ich lad mir da was auf, Sissy.« Emilia dachte ›ich weiß, daß er ihn für hundert verkaufte Sie sagte: »Dreißig bar.« Ihre Stimme klang fest und entschlossen, aber ihr Herz war müde. Sie hatte bei Unverlacht die Finten des Handels gelernt. Manchmal überlegte sie, wenn es ihr gelänge ein Haus zu verkaufen (aber nie würde es gelingen, nie würde es geschehen: wer kauft Häuser? verfallene Mauern? wer lädt sich Lasten auf? wer stellt sich unter die Vormundschaft der Ämter, läßt sich mit Steuerbehörden und Wohnungskontrolleuren ein? wer schafft sich Plagen? bietet sich dem Gerichtsvollzieher an? wer will sich mit ständig auf teure Reparaturen versessenen Mietern streiten, mit Mietern, deren Zins man zum Finanzamt tragen muß, statt wie die alten Hauswirte der Märchen zeit selbstzufrieden, gemütlich, die Hände im Schoß von der Miete zu leben?), wenn es gelänge! - es war einer ihrer größten Träume, endlich einmal eins ihrer Häuser loszuwerden, aber die Käufer wollten die schlechte jedem Zugriff des Staates preisgegebene Geldanlage kaum geschenkt haben -vielleicht würde Emilia dann auch einen Altwarenhandel eröffnen und wie Unverlacht vom Reichtum der Vergangenheit und von den Nachlässen der Toten zehren. War das die Verwandlung, die Entzauberung? Nicht Unverlacht entsprang als Prinz dem Froschkleid, sondern sie, die liebreizende Emilia, die schöne junge Erbin des Kommerzienrats-Vermögens, die Lumpenprinzessin, wollte in die Unterwelt des niedrigsten Feilschens reisen, in den Keller der kleinen Habgier steigen, aus bloßer Zukunftsangst die Maske des Frosches tragen, der kalten Kreatur, die auf arme Fliegen wartet. War das ihr wahres Wesen, das träge Tümpelleben, der lauernde zuschnappende Mund? Aber bis zum Althandel war es noch weit, kein Hauskäufer war zu sehen, und Philipp würde bis dahin sein Buch geschrieben, und die Welt würde sich geändert haben.
Philipp hatte sie schon vorher gefürchtet, und seine Furcht hatte die Mißverständnisse vielleicht herbeigelockt, wie das Aas Fliegen anzieht, oder wie man auf dem Lande meint, es lade das Wetter ein, wenn man nach den Wolken gucke. Er war in einen Strudel lächerlicher, nur ihm bestimmter, nur auf seinen Weg wie Fallen gelegter Verwechselungen geraten, als er Edwin im Auftrage des Neuen Blattes (gern, und doch von Schüchternheit gehemmt, und das grade durchden Auftrag der Zeitung, der anderen Mut gegeben hätte) besuchen wollte. Das Abendecho, das die Namen von Dichtern nur nannte, wenn sie durch irgendwelche Verleihungen Personen des öffentlichen Lebens geworden, nicht länger zu übersehen und überdies gestorben waren, eine Erwähnung, die dann in der Spalte Ferner-ereignete-sich geschah, in der Rubrik des kleinen Klatsches KATER DES
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