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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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ARGENTINISCHEN KONSULS ENTLAUFEN, ANDRÉ GIDE GESTERN VERSCHIEDEN , dieses literarisch so überaus interessierte Blatt hatte eine Redaktionselevin in Mr. Edwins Hotel geschickt, um den berühmten Schriftsteller zu interviewen, ihn für die Leser des Abendechos zu fragen, ob er an den dritten Weltkrieg noch in diesem Sommer glaube, was er von der neuen Badekleidung der Damen halte und ob es seine Meinung sei, daß die Atombombe den Menschen wieder zum Affen zurückwerfen werde. Aus irgendeiner falschen Überlegung nun, vielleicht weil Philipp bekümmert aussah und weil man der jungen Schreibbeflissenen, der sich übenden Nachrichtenjägerin, gesagt hatte, das zu erlegende preisgekrönte Tier sei ein ernster Mann, hielt sie Philipp, den Unberühmten und immerhin wesentlich jüngeren, für Edwin und stürzte sich mit dem Englisch der Oberschule, gemischt mit dem Barslang einer amerikanischen Bekanntschaft vom letzten Fasching, auf ihn, während zwei frech und herrisch blickende junge Männer, Begleiter der Reporterin und wie sie Vertreter der Pressemacht, schwer an gefährlich aussehenden Geräten trugen und Philipp mit Blitzlicht beleuchteten.
Die Aufsehen erregende, blitzbeleuchtete, für Philipp so peinliche und ihn in mancher Weise beschämende Szene (Beschämungen, die den Umstehenden entgingen, es war eine Philipp innerlich peinigende Scham) hatte zur Folge, daß andere Besucher der Hotelhalle, neugierig geworden, erfuhren, daß eine Verwechselung geschehen sei, ein Versehen, das den berühmten Mister Edwin betraf, ein immer noch nicht ganz aufgeklärtes Mißverständnis, und manwar nun geneigt, Philipp für Edwins Sekretär zu halten und ihn, voll plötzlicher Teilnahme am Leben des Dichters, mit Fragen zu bestürmen, wann der Meister zu sprechen, auszufragen, zu sehen und zu photographieren sein werde. Ein Mann in einem vielgurtigen Wettermantel, der eben in wichtigster Mission um den Erdball geflogen zu sein schien, doch während des Fluges nichts erlebt und nur ein Kreuzworträtsel gelöst hatte, dieser gegen mögliche Wetterunbilden und geistige Anfechtungen Wohl gewappnete erkundigte sich bei Philipp, ob der bekannte Mister Edwin wohl willens sei, zu einer dann in allen Illustrierten Zeitungen erscheinenden Photographie zu erklären, daß er ohne den Genuß einer bestimmten, von dem Wettergegürteten vertretenen Zigarettenmarke nicht leben und nicht dichten könne. Half Philipp sich hier noch mit Schweigen und eiligem Weitergehen, so sah er sich von der Gruppe der Lehrerinnen aus Massachusetts doch eingefangen und zur Rede gestellt. Miss Wescott hielt Philipp fest, blickte ihn durch ihre breitgefaßte Hornbrille wie eine freundliche, gepflegte Eule an und fragte ihn, ob er nicht Edwin bitten könne, der Reisegesellschaft der Lehrerinnen und, wie man wohl behaupten könne, Edwin-Verehrerinnen eine kleine Vorlesung zu halten, ein stilles Privatissimum, ihnen eine Einführung in sein doch allzu schwer zugängliches, allzu dunkles, der Deutung bedürfendes Werk zu geben. An dieser Stelle, noch ehe Philipp zu Wort kommen und seine Unzuständigkeit erklären konnte, unterbrach Miss Burnett Miss Wescott. Privatissimum hin und Verehrung her, meinte Miss Burnett, Edwin werde anderes zu tun haben, Besseres, Unterhaltsameres, als sich mit reisenden Schulweibern abzugeben, aber Kay, ihre Jüngste, der Benjamin der Gruppe sozusagen, die Junge und Hübsche, beinahe hätte Miss Burnett gerufen »die mit den grünen Augen«, schwärme nun wirklich und in aufrichtiger, unverbildeter und jüngerhafter Weise für die Dichter, für Edwin natürlich besonders, und vielleicht, Philipp der Sekretär müsse es einsehen, würde es den Gefeierten erfrischen, ihn von der Reise und in der Fremde erfrischen, von soviel junger Anmut angeschwärmt zu werden, kurz, Philipp solle es doch wagen, Kay zu Edwin zu führen, damit er ihr eine Widmung, ein Gedenken an den Tag ihrer Begegnung in Deutschland in ihr Exemplar seiner Gedichte schreiben könne, einen Band, den sie in der flexiblen Dünndruckausgabe bei sich habe. Miss Burnett schob Kay ins Licht, und Philipp sah sie mit Rührung an. Er dachte ›ich würde so empfinden, wie diese energische Dame meint, daß Edwin empfinden wird, wenn die junge Anbeterin erscheint‹. Kay wirkte so unbefangen, so frisch, sie war von einer Jugend, wie man sie hier kaum noch sieht, sie war unbeschwert, das war es wohl, sie kam aus anderer Luft, aus herber und reiner Luft, wie es Philipp schien, aus einem

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