Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
nett, wenn wir uns später noch sehen würden. Vielleicht werden wir uns sehen, wenn Sie bei Mr. Edwin sind. Vielleicht werden wir doch noch Mr. Edwin lästig fallen.« Sie glaubten immer noch, daß Philipp als vertrauter und erwarteter Freund zu Edwin gehe. Philipp sagte: »Ich weiß nicht, ob ich Edwin aufsuchen werde; es ist keineswegs sicher, daß Sie mich bei Mr. Edwin treffen werden.« Doch wieder schienen ihn die Lehrerinnen nicht zu verstehen. Sie nickten ihm freundlich zu und schnatterten im Chor »bei Edwin, bei Edwin«. Kay erwähnte, sie lerne Deutsch bei Doktor Kaiser, deutsche Literaturgeschichte. »Vielleicht habe ich schon etwas von Ihnen gelesen«, sagte sie. »Ist es nicht komisch, daß ich etwas von Ihnen gelesen habe und Sie jetzt kennenlerne?«Philipp verneigte sich. Er war verlegen und fühlte sich beleidigt. Er wurde von Fremden beleidigt, die ihn nicht beleidigen wollten. Es war, als würden den Fremden die beleidigenden Sätze souffliert, und sie sprachen sie in bester Absicht gutgläubig als Schmeichelei und Achtungsworte nach, und nur Philipp und der unsichtbar bleibende boshafte Souffleur verstanden die Kränkung. Philipp war wütend. Aber er wurde auch angelockt. Er wurde angelockt von dem jungen Mädchen, von ihrer frischen, aufrechten und unbefangenen Achtung vor Werten, die auch Philipp achtete, Qualitäten, die er besessen und verloren hatte. Ein bitterer Reiz lag in allem Mißverständnis mit Kay. Etwas erinnerte ihn Kay auch an Emilia, nur daß Kay eine unbefangene, eine unbeschwerte Emilia war und daß sie, es tat wohl, ihn nicht kannte und nichts von ihm wußte. Aber dennoch blieb es peinlich, daß ihm auf so anrüchige hinterhältig höhnende Weise Achtung bezeigt wurde, daß ein Philipp geachtet wurde, den es garnicht gab, den es aber leicht hätte geben können, ein Philipp, der er hatte werden wollen, ein bedeutender Schriftsteller, dessen Werk selbst in Massachusetts gelesen wurde. Und gleich war er sich darüber klar, daß dies ›selbst in Massachusetts ein dummer Gedanke war, denn Massachusetts war genau so fern und genau so nah wie Deutschland, vom Schriftsteller aus gesehen natürlich, der Schriftsteller stand in der Mitte, und die Welt um ihn war überall gleich fern und nah, oder der Schriftsteller war außen, und die Welt war die Mitte, war die Aufgabe, um die er kreiste, etwas nie zu Erreichendes, niemals zu Bewältigendes, und es gab keine Ferne und keine Nähe; vielleicht saß auch in Massachusetts ein dummer Literat und wünschte sich, ›selbst in Deutschland‹ gelesen zu werden, für dumme Menschen war die geographische Entfernung immer die Wüste, die Unkultur, das Ende der Welt, der Ort, wo die Füchse sich Gutenacht sagen, und Licht war nur, wo man selber im Dunkeln tappte. Doch leider war Philipp kein bedeutender Schriftstellergeworden, er war schließlich nur jemand, der sich Schriftsteller nannte, weil er in den Einwohnerakten als Schriftsteller geführt wurde: er war schwach, er war auf der Walstatt geblieben, auf der sich die schändliche Politik und der gemeinste Krieg, Wahnsinn und Verbrechen ausgetobt hatten, und Philipps kleiner Ruf, der erste Versuch, sein erstes Buch war im Lautsprecherbrüllen und im Waffenlärm untergegangen, war von den Schreien der Mörder und Gemordeten übertönt worden, und Philipp war wie gelähmt, und seine Stimme war wie erstickt, und schon sah er mit Grauen, wie der verfluchte Schauplatz, den er nicht verlassen konnte, vielleicht auch nicht verlassen mochte, für ein neues blutiges Drama hergerichtet wurde.
    Nach den Mißverständnissen in der Hotel halle, nach dem Gespräch mit den reisenden Lehrerinnen war es Philipp unmöglich, noch wirklich zu Edwin zu gehen. Er mußte dem Neuen Blatt den Auftrag, Edwin zu besuchen, zurückgeben. Es war wieder ein Mißerfolg. Philipp wollte aus dem Hotel fliehen. Er schämte sich aber, jetzt, nachdem er Aufsehen erregt hatte, vor allen Blicken wieder hinauszugehen, sich fortzuschleichen wie ein geprügelter Hund. Vor allem schämte er sich vor Kays grünen Augen. Er ging die Treppe hinauf, die zu den Hotelzimmern führte, aber er hoffte irgendwo eine Hintertreppe zu finden, die er wieder hinuntergehen konnte, um dann einen Notausgang zu erreichen. Auf der Haupttreppe aber traf er Messalina. »Ich beobachte Sie schon lange«, rief die Gewaltige und stellte sich Philipp breit in den Weg. »Sie besuchen Edwin?« fragte sie. »Wer ist die Kleine mit den grünen Augen? Sie ist süß!«

Weitere Kostenlose Bücher