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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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daß sie Washington auspfeifen, über ihn lachen und ihn verhöhnen würden. Es konnte jeder mal nicht in Form sein. Waren sie denn in Form? ›Rotzbibben.‹ Er schämte sich. Er wußte nicht recht, warum er sich schämte. Er sagte: »Den nächsten schafft er nicht.« - »Wer schafft ihn nicht?« fragten die Jungens. Sie hatten die Karten für das Stadion vom amerikanisch-deutschen Jugendklub bekommen. Sie hatten den kleinen herrenlosen Hund an seinem Bindfaden mit auf die Tribüne genommen. »Na, der Nigger meiner Mutter«, sagte Heinz, »der Nigger schafft's nicht mehr.«
    Richard hatte zum Haus der Frau Behrend gefunden. Er sprach mit der Tochter der Hausbesorgerin. Die Tochter der Hausbesorgerin redete von oben herab mit ihm, von oben herab in aller Tatsächlichkeit, denn sie stand zwei Treppenstufen höher als Richard, aber auch von oben herab im übertragenen Sinn. Richard war nicht der Strahlende, der Erfolgsmensch, der Held, auf den das häßliche Mädchen wartete. Richard war zu Fuß gekommen; die Lieblinge der Götter kamen im Auto. Richard, sie sah es, war ein einfacher Soldat, wenn auch ein Flieger. Die Flieger waren natürlich etwas Besseres als die gewöhnlichen Soldaten, der Ruhm des Ikarus erhöhte sie, aber die Tochter der Hausbesorgerinwußte nichts vom Ikarus. Wenn Richard im Flugzeug auf der Treppe gelandet und mit Blumen im Arm herausgesprungen wäre, dann hätte er vielleicht der erwartete Bräutigam des reizlosen Geschöpfes sein können; doch nein, er hätte der Bräutigam nicht sein können: ihm hätte selbst dann noch das Ritterkreuz gefehlt. Das Mädchen lebte in einer Welt entsetzlicher Standesvorurteile. Sie hatte sich eine Hierarchie der Stände ausgedacht, steifere und strengere Sitten als zu des Kaisers Zeiten herrschten in ihrem Kopf, und unüberbrückbar war die Kluft, die den einen Stand vom anderen trennte. Die Vorstellung einer sozialen Leiter mit oben und unten ließ die Tochter der Hausbesorgerin ihre niedrige Stellung im Haus, niedrig nach ihrer Meinung, ertragen, denn um so schöner lockte, was ihr beschieden war, der soziale Aufstieg, den ihr das Horoskop des Abendechos verkündete: gerade ihr würde gelingen, was kaum einem gelang, sie war unten, freilich, aber ein Prinz würde kommen oder ein Chef und sie auf die ihr zugedachte Sprosse von Rang und Ansehen führen. Der Prinz oder der Chef hielten sich aus Schicksalsgründen vorübergehend und vielleicht verkleidet im gesellschaftlichen Unterreich auf, aber sicher würde der Prinz oder der Chef sie in den Glanz des Oberreiches geleiten. Zum Glück wußte die Hausbesorgerstochter, daß sie die Verkleideten gleich erkennen würde; so konnte es keinen Irrtum geben. Richard war kein verkleideter Höhergestellter, sie sah es, er gehörte zu den Leuten unten und mußte so behandelt werden. Alle Amerikaner gehörten zu den geringen Leuten. Sie taten nur manchmal so, als gehörten sie zur besseren Schicht. Aber wenn sie auch reich sein mochten, die Tochter der Hausbesorgerin durchschaute sie: es waren Leute, die unten standen. Die Amerikaner waren keine richtigen Prinzen, keine richtigen Offiziere, keine richtigen Chefs. Sie glaubten nicht an die Hierarchie: DEMOKRATISCHER GEDANKE IN DEUTSCHLAND GEFESTIGT . Das Mädchen schickte Richard mit schnippischer Geste zur Lebensmittelhändlerin. Vielleicht sei Frau Behrend bei der Händlerin. Richard dachte ›was hat die? sie ist so komisch, mag sie uns nicht?‹ Das Mädchen blickte ihm mit starren Augen nach. Sie hatte die starren Augen und die mechanischen Bewegungen einer Puppe. Sie hatte den Mund geöffnet, und ihre Zähne standen etwas vor. Sie glich einer schäbigen, häßlichen Puppe, die jemand auf der Treppe stehen gelassen hatte.
    Diesmal war Washington nicht schnell genug. Er verlor den Lauf. Er keuchte. Seine Brust hob und senkte sich wie ein auf und nieder gedrückter Blasebalg in einer Schmiede. Er verlor den Lauf. Der Mann am Mikrophon war nicht länger Washingtons Freund. Aus allen Lautsprechern schimpfte der Reporter. Er schimpfte aufgeregt aus dem kleinen Koffer zwischen Josef und Odysseus. Odysseus schleuderte eine Coca-Cola-Flasche auf das Spielfeld. Josef schaute sich blinzelnd ängstlich nach einem Polizisten um. Er wollte nicht, daß Odysseus abgeführt würde. Auf allen Tribünen wurde gejohlt und gepfiffen. Jetzt haben sie ihn, jetzt machen sie ihn fertig‹ dachte Heinz. Er sträubte sich dagegen, daß sie Washington verjohlten und ihn fertig machten. Aber auch

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