Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
Washington zu vereinen. Carla war in den falschen Zug gestiegen. Washington war ein guter Kerl, aber er saß leider im falschen Zug. Carla konnte nichts dafür, sie konnte es nicht ändern, daß er im falschen Zug saß. Alle Neger saßen im falschen Zug. Selbst die Leiter der Jazzkapellen saßen im falschen Zug; sie saßen im Luxusabteil des falschen Zuges. Wie dumm war Carla gewesen. Sie hätte auf einen weißen Amerikaner warten sollen. ›Ich hätte auch einen Weißen haben können, auch ein Weißer wäre zufrieden gewesen, hängen die Brüste? sie hängen nicht, sie sind stramm und rund, wie nannte sie der Kerl? Milchäpfel, sind noch Milchäpfel, der Leib ist weiß, etwas zu dick, aber sie lieben volle Schenkel, das Mollige, ich bin mollig, im Bett bin ich immer mollig, macht Spaß, hätt ich kein Vergnügen haben sollen? was hat man schon? Bauchweh, aber ich hätt auch einen Weißen bekommene Carla hätte in den richtigen Zug steigen können. Es war nie wieder gut zu machen. Nur der Zug der weißen Amerikaner führte in die Traumwelt der Magazinbilder, in die Welt des Wohlstandes, der Sicherheit und des Behagens. Washingtons Amerika war dunkel und schäbig. Es war eine Welt, so dunkel, so schäbig, so dreckig, so von Gott aufgegeben wie die Welt hier. Vielleicht sterbe ich‹ dachte Carla. Vielleicht würde es das beste sein zu sterben. Carla drehte sich um, sie schaute zurück über den Platz, blickte noch einmal nach ihrer Mutter aus, doch Frau Behrend hatte feige mit schnellen, das Unheil fliehenden Schritten und ohne sich noch einmal nach der Tochter umzusehen den Domplatz schon verlassen. Aus der Kirche, aus ihren noch nicht wieder eingesetzten Fenstern grollte unter den Händen des übenden Organisten die Orgel, erhob sich das Stabat-mater.
    Stormy-Weather: die Musik der Kinoorgel wehte, wogte, bebte und rasselte. Sie wehte, wogte, bebte und rasselte aus allen Lautsprechern. Synchron mit den Lautsprechern wehten, wogten, bebten und rasselten die Töne aus dem Musikkoffer, den Josef neben sich auf die Bank gestellt hatte. Er kaute an einem Sandwich. Er kaute schwer an dem dicken vielschichtigen Brot. Er mußte seinen Mund bis zum äußersten aufreißen, um von dem dicken Sandwich etwas abbeißen zu können. Es war ein fader Geschmack. Auf den Schinken hatte man eine süßliche Paste geschmiert. Der Schinken schmeckte wie verdorben. Der süßliche Geschmack störte Josef. Es war, als wäre der Schinken verdorben und man hätte ihn dann parfümiert. Auch die grünen Salatblätter, die man zwischen den Schinken und das Brot gelegt hatte, waren nicht nach Josefs Geschmack. Das Sandwich war wie das Grab einer Schinkensemmel, mit Efeu bepflanzt. Josef würgte mit Widerwillen an dem Brot. Er dachte an seinen Tod. Er aß die fremde, fremdländisch schmeckende Speise nur aus anerzogenem Gehorsam. Er durfte Odysseus, seinen Herrn, nicht beleidigen. Odysseus trank Coca-Cola. Er setzte die Flasche an den Mund und trank sie leer. Er spuckte den letzten Schluck unter die vordere Bank. Er traf genau die untere Leiste der vorderen Bank. Josef hatte sich drücken können. Vor dem Coca-Cola hatte er sich drücken können. Er mochte das neumodische Zeug nicht.
Washington rannte. Er hörte das Abschlagen und Aufklatschen des Balles. Er hörte das Wehen, Wogen, Beben und Rasseln der Kinoorgel. Er hörte Stimmen, die Stimmen der Menge, Stimmen der Sportgemeinde, Rufe, Pfiffe und Gelächter. Er rannte um das Spielfeld. Er keuchte. Er war in Schweiß gebadet. Das Stadion sah mit seinen Tribünen wie eine riesige gerippte Muschel aus. Es war, als ob die Muschel sich schließen, als ob sie ihm für immer den Himmel nehmen, als ob sie sich zusammenpressen und ihn erdrücken wolle. Washington rang nach Atem. Die Kinoorgelschwieg. Der Sprecher am Mikrophon lobte Washington. Die Lautsprecher sprachen die Worte des Reporters mit. Der Reporter sprach aus Odysseus' Koffer. Washingtons Name füllte das Stadion. Er hatte den Lauf gewonnen. Der Name des Siegers stemmte sich gegen die Muschel und hinderte sie am Zuklappen. Für eine Weile hatte Washington die Muschel besiegt. Sie würde nicht zuklappen, sie würde ihn nicht erdrücken, würde ihn in diesem Augenblick nicht fressen. Immer wieder mußte Washington siegen.
›Er ist nicht in Form‹ dachte Heinz. Er sah es Washington an, daß er nicht in Form war. Er dachte ›den nächsten Lauf wird er verlieren, wenn er den nächsten Lauf verliert werden sie ihn fressen‹. Es ärgerte Heinz,

Weitere Kostenlose Bücher