Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
er johlte und pfiff. Er heulte mit den Wölfen: »Der Nigger kann nicht mehr. Der Nigger meiner Mutter kann nicht mehr.« Die Kinder lachten. Selbst der kleine herrenlose Hund heulte. Ein dicker Junge sagte: »Ist recht, dem geben sie's!« Heinz dachte ›dir geb ich's, Rotzbibbe widerliche‹. Er heulte, johlte und pfiff. Es war ein Spiel der Red-Stars gegen eine Gastmannschaft. Die Sympathien der Zuschauer waren auf der Seite der Gäste.
Ezra hatte weder für die eine noch für die andere Mannschaft irgendwelche Sympathien. Das Spiel auf dem Baseballfeld langweilte ihn. Die eine Partei würde siegen. Das war immer so. Immer siegte eine Partei. Aber nach dem Spiel schüttelten sie sich die Hände und gingen zusammen in die Garderoben. Das war langweilig. Man mußte mitseinen wirklichen Feinden kämpfen. Er kniff seine kleine Stirn zusammen. Selbst die Kappe seines kurzgeschorenen roten Haares runzelte sich. Er hatte den Jungen mit dem Hund wiedergesehen, den Jungen und den Hund vom Parkplatz vor dem Central Exchange. Das Problem beschäftigte ihn. Das war kein Spiel, das war Kampf. Er wußte nur immer noch nicht, wie er es machen sollte. Christopher fragte: »Was hast du? Du schaust nicht zu!« - »Ich mag Baseball nicht«, sagte Ezra. Christopher ärgerte sich. Er ging gern zum Baseball. Er hatte sich gefreut, auch in Deutschland ein Spiel sehen zu können. Er hatte geglaubt, Ezra eine Freude zu machen, als er mit ihm ins Stadion ging. Er war verstimmt. Er sagte: »Wenn es dir nicht gefällt, so können wir ja gehen.« Ezra nickte. Er dachte ›so muß es gemacht werden‹. Er sagte: »Kannst du mir zehn Dollar geben?« Christopher wunderte sich, daß Ezra zehn Dollar haben wollte. »Zehn Dollar sind viel Geld«, sagte er, »willst du was kaufen?« - »Ich will das Geld nicht ausgeben«, sagte Ezra. Er blickte nach der Tribünenseite, auf der die Kinder mit dem Hund saßen. Christopher verstand Ezra nicht. Er sagte: »Wenn du das Geld nicht ausgeben willst, warum soll ich es dir geben?« Ezra quälten Kopfschmerzen hinter der kleinen gefurchten Stirn. Wie schwer Christopher alles begriff! Man konnte es ihm nicht erklären! Er sagte: »Ich brauche die zehn Dollar, weil ich doch verloren gehen könnte. Ich könnte mich doch verirren.« Christopher lachte. Er sagte: »Du sorgst dich zu viel. Du sorgst dich genau so viel wie deine Mutter.« Aber dann fand er Ezras Gedanken ganz vernünftig. Er sagte: »Schön. Ich werde dir die zehn Dollar geben.« Sie standen auf und drängten sich durch die Reihe. Ezra stieg noch schnell mit einem Flugzeug auf und ließ eine Bombe auf das Spielfeld fallen. In beiden Mannschaften gab es Verluste. Ezra sah noch einmal zu Heinz und dem Hund hinüber und dachte ›ob er heut abend kommen wird? es wäre zum Kotzen wenn er nicht käme‹.
»Frau Behrend würde sich freuen«, sagte die Lebensmittelhändlerin. »Wenn Frau Behrend jetzt käme, würde sie sich freuen!« Sie drängte Richard in die Ecke des Ladens, wo unter Einwickelpapier versteckt der Sack mit dem schon wieder knappen Zucker stand. Richard fühlte sich auf einmal hungrig und durstig. Er sah zwischen sich und der Händlerin auf einer Platte einen Schinken liegen, und ein Kasten mit Bier stand neben seinen Füßen. Die Luft in Deutschland oder die nach alten Speisen riechende Luft in diesem Laden schien durstig und hungrig zu machen. Richard hätte die Fländlerin gerne gebeten, ihm eine Flasche Bier und eine Scheibe von dem Schinken zu verkaufen. Doch die Frau bedrängte ihn zu sehr. Er fühlte sich in der Ladenecke wie gefangen. Es kam ihm vor, als solle er wie der Zucker in Verwahrung genommen und nach Gutdünken oder Wohlwollen ausgegeben werden. Es ärgerte ihn, daß er der sentimentalen Idee seines Vaters gefolgt war und Frau Behrend, eine ferne Verwandte, der man kurz nach dem Kriege Pakete schickte, aufgesucht hatte. Gerade sprach die Händlerin von den Paketen. Sie schilderte die Not der ersten Nachkriegszeit, und dabei beugte sie sich über den Schinken, auf den Richard immer verlangender blickte. »Alles hatten sie uns genommen, rein gar nichts war da«, sagte die Händlerin, »und Neger haben sie uns geschickt, Sie stammen ja auch von Deutschen, Sie werden es verstehen, mit Negern mußten wir uns einlassen, um nicht zu verhungern. Das ist ja der große Kummer von Frau Behrend!« Sie sah Richard erwartungsvoll an. Richard beherrschte die deutsche Sprache nur unvollkommen. Was war hier mit Negern los? In der
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