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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Stadion und im Dienst, im Dienstmannsdienst, im Dienst bei einem fremden aus fremder Ferne hergereisten Herrn eingeschläferte Josef, umgeben vom Lautsprecherschwall eines sinnlosen Rasenspiels, sinnlos angesprochen von demselben Lärm und Schwall, der leiser und an ihn persönlich mit einer sinnlosen Botschaft gerichtet noch einmal aus dem kleinen Koffer, den er heute zu tragen und zu bewahren hatte, drang, der schlafende Josef wußte, daß dies sein letzter Dienst gewesen war, der Transport dieses Köfferchens, das Tragen des kleinen Musikkoffers, ein leichter, ein eigentlich amüsanter Dienst bei einem großen und freigebigen, wenn auch schwarzen Herrn. Josef wußte, daß er sterben würde. Er wußte, daß er auf diesem Spitalbett sterben würde. Wie konnte es auch anders sein, als daß er am Ende seines Lebensweges im Armenspital sterben würde? War er vorbereitet zu gehen, gerüstet, die große Reise anzutreten? Er dachte ›Gott wird mir verzeihen, er wird mir die kleinen Listen des Fremdenverkehrs vergeben, die Fremden kommen ja her, damit man sie ein wenig betrüge, damit man sie ein wenig weiterführe, als sie geführt werden wollen‹. Es gab sonderbare Schwestern in diesem Spital. Sie gingen in Baseballtracht umher und hielten Schläger in der Hand. War Gott doch böse mit Josef? Sollte Josef geschlagen werden? An der Pforte des Spitals stand Odysseus. Aber es war nicht der freundliche, freigebige Odysseus der Stadtwege. Es war der Odysseus vom Domturm, ein gefährlicher und zu fürchtender Teufel. Er war eins mit der Teufelsfratze des Turmvorsprungs geworden, der Teufelsfratze, auf die er seinen Namen und seine Herkunft geschrieben hatte; ein schwarzer Teufel war Odysseus, wirklich, ein böser schwarzer Teufel; er war nichts als ein ganz gewöhnlicher fürchterlicher Teufel. Was wollte der Teufel von Josef? War Josef nicht immer brav gewesen, bis auf die kleinen zum Gewerbe gehörenden Listen des Fremdenverkehrs? Hatteer nicht jedermanns Koffer getragen? War er nicht in den Krieg gezogen? Oder war doch gerade das In-den-Krieg-ziehen Sünde gewesen? War die Pflichterfüllung Sünde gewesen? Die Pflicht Sünde? die Pflicht, von der alle redeten, schrieben, schrien und sie verherrlichten? Hatte man ihm nun die Pflicht angekreidet, stand sie auf der Tafel bei Gott angekreidet, wie nicht bezahltes Bier auf der Tafel des Wirtes? Es war wahr! Josef hatte es immer gequält. Insgeheim hatte es ihn gequält. Er hatte nicht gern daran gedacht: er hatte getötet, er hatte Menschen getötet, er hatte Reisende getötet; er hatte sie getötet am Chemin-des-Dames und im Argonnerwald. Es waren die einzigen Ausflugsziele seines Lebens gewesen, Chemin-des-Dames, Argonnerwald, keine schönen Gegenden, und dorthin war man ausgeflogen, um zu töten und um getötet zu werden. ›Herr, was sollte ich tun? was konnte ich tun, Herr.‹ War es gerecht, daß er nun für diese angekreidete und nie gestrichene Schuld des erzwungenen Tötens dem Teufel übergeben wurde, dem schwarzen Teufel Odysseus? He! He! Holla!‹ Schon wurde er geschlagen. Schon schlug der Teufel zu. Josef schrie. Sein Schrei ging in anderen Schreien unter. Er wurde auf die Schulter geschlagen. Er schreckte auf. Er schreckte ins Leben zurück. Odysseus der Teufel, Odysseus der Freundliche, König Odysseus der freundliche Teufel schlug Josef auf die Schulter. Dann sprang Odysseus auf die Tribünenbank. Er hielt eine Coca-Cola-Flasche wie eine wurfbereite Handgranate. Die Lautsprecher brüllten. Das Stadion johlte, pfiff, trampelte, schrie. Die Stimme des Reporters drang heiser aus dem kleinen Radiokoffer. Die Red-Stars hatten gesiegt.
Er hatte gesiegt. Washington hatte gesiegt. Er hatte die meisten Läufe gewonnen. Er hatte den Sieg für die Red-Stars aus seinen Lungen geholt. Die Muschel klappte nicht zu. Noch klappte die Muschel nicht zu. Vielleicht würde die Muschel nie über Washington zusammenklappen, nie ihm den Himmel nehmen. Das Stadion fraß ihn nicht. Washingtonwar der Held der Tribünen. Sie riefen seinen Namen. Der Radiosprecher hatte sich mit Washington versöhnt. Washington war wieder der Freund des Sprechers. Alle jubelten Washington zu. Er keuchte. Er war frei. Er war ein freier Bürger der Vereinigten Staaten. Es gab keine Diskriminierung. Wie er schwitzte! Er würde immer weiter laufen. Er würde immer weiter und immer schneller um das Spielfeld laufen. Der Lauf machte frei, der Lauf führte ins Leben. Der Lauf schuf Platz für Washington in der

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