Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
Luftwaffe hatten sie Neger. Die Neger flogen in denselben Maschinen wie die anderen Flieger. Richard hatte nichts gegen Neger. Sie waren ihm gleichgültig. »Die Tochter«, sagte die Händlerin. Sie senkte ihre Stimme und beugte sich noch weiter zu Richard hinüber. Der Ansatz ihrer Schürze berührte den Fettrand des Schinkens. Richard wußte nichts von einer Tochter derFrau Behrend. Frau Behrend hatte die Tochter in ihren Briefen an Wilhelm Kirsch nicht erwähnt. Richard überlegte, ob Frau Behrend eine Tochter von einem Neger bekommen habe, dem sie sich vor Hunger hatte hingeben müssen. Aber sie war doch zu alt, als daß sie sich hätte für Brot verkaufen können. Hatte Richard noch Appetit auf den Schinken? Er dachte an die Tochter der Frau Behrend und sagte: »Ich hätte Spielsachen mitgebracht.« - »Spielsachen?« Die Händlerin verstand Richard nicht. War dieser junge Mann, in Amerika geboren, aber doch von einem deutschen Vater gezeugt, so amerikanisiert, daß er das Gefühl für Sitte und Anstand verloren hatte? Wollte er sich über die deutsche Not und Verirrung lustig machen? Sie fragte streng: »Für wen Spielsachen? Mit der Tochter verkehren wir nicht mehr.« Sie nahm an, daß auch Richard nicht mit der Tochter von Frau Behrend verkehren würde. Richard dachte ›was geht es mich an? was geht mich die Tochter der Frau Behrend an? es ist, als ob ich in etwas versinke, es ist die Herkunft, das alte Zuhause des Vaters, die hier beheimatete Familie, die Enge, es sind Sümpfe‹. Er riß sich vom Anblick des Schinkens los und befreite sich aus den Umstrickungen dieses Ladens, der eine merkwürdige Mischung aus Not und fetten Speisen, aus Mißgunst, Mangel und Illusionen war. Sein Fuß stieß gegen das Bier. Er sagte, er würde am Abend im Bräuhaus sein, sein Vater habe ihm geraten, dort hinzugehen, Frau Behrend könne ihn dort suchen, wenn sie wolle. Es lag ihm gar nichts daran, Frau Behrend zu sehen -Frau Behrend und ihre Neger-Tochter.
    »Es ist kein Bett bestellt. Es ist kein Bett für Sie bestellt worden«, sagte die Schwester. Die Schwester hatte die monotone Stimme einer Schallplatte des Fernsprechdienstes, die, wenn man ihre Nummer gewählt hat, immer einund-dieselbe Auskunft wiederholt. »Es ist nichts bestellt. Es ist nichts bekannt«, sagte die Stimme. »Aber Doktor Frahm sagte doch -« Carla war ratlos. »Es muß ein Irrtum sein,Schwester. Doktor Frahm sagte mir, er würde anrufen. -» Es ist nichts bekannt. Doktor Er ahm hat nicht angerufen.« Die Schwester hatte das Gesicht einer Steinfigur. Sie sah wie eine Steinmetzarbeit an einem öffentlichen Brunnen aus. Carla stand mit einem kleinen Koffer im Aufnahmeraum der Schulteschen Klinik. Im Koffer war Wäsche, war ein Gummibeutel mit Kosmetika, waren die neuesten amerikanischen Magazine; die bunten Bildermagazine, die das häusliche Glück der Hollywoodschauspieler beschrieben. Mit dem Glück aus Hollywood ausgerüstet, war Carla bereit, sich das Kind nehmen zu lassen, das Kind des schwarzen Freundes, des Freundfeindes aus dem dunklen Amerika, töten zu lassen. »Es muß ein Bett für mich bestellt sein. Doktor Frahm versprach es. Ich soll operiert werden. Es ist dringend«, sagte sie. »Es ist nichts bestellt worden. Es ist kein Bett bestellt.« Die Steinfigur würde höchstens durch ein Erdbeben zu erschüttern sein, und nur auf die Weisung eines Arztes würde sie den Weg zu dem Abtreibungsbett freigeben. »Ich werde auf Doktor Frahm warten«, sagte Carla. »Ich sage Ihnen doch, Schwester, es ist ein Irrtum.« Sie hätte weinen mögen. Sie hätte der Schwester von den vielen Geschenken erzählen mögen, die sie Doktor Frahm in der Zeit, als es nichts gab, keinen Kaffee, keinen Schnaps, keine Zigaretten, gebracht hatte. Sie setzte sich auf eine harte Bank. Die Bank war hart wie eine Armesünderbank. Die Schwester bediente das Telefon und sprach genau wie eine Schallplatte der Post: »Bedauere, es ist nichts frei. Bedauere, es ist kein Bett frei.« Monoton, gleichgültig, mechanisch, fertigte die Schwester die unsichtbaren Hilfesuchenden ab. Die Betten dieser Klinik schienen sehr begehrt zu sein.
    Josef schlief. Er war im Sitzen eingeschlafen. Er war im Sitzen auf der Tribüne des Stadions eingeschlafen, aber es war ihm, als schlafe er in einem Bett. Er war harte Betten gewohnt, aber dies war ein Spitalbett, in dem er schlief, einBett in einem Armenspital, ein besonders hartes Bett, sein Sterbebett. Es war das Ende seiner Lebensreise. Der im

Weitere Kostenlose Bücher