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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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handeln, eine freie Tat tun, die von keinem Zwang und keiner Notwendigkeit bestimmt und mit keiner Absicht verbunden war, außer der Absicht, frei zu sein; doch auch dies war keine Absicht, es war ein Gefühl, und das Gefühl war eben da, ganz absichtslos. Sie ging zu Kay und sagte: »Lassen Sie die Korallen und Granaten. Sie sind rot und hübsch. Aber diese Perlen und Diamanten sind hübscher; auch wenn Herr Schellack behauptet, sie seien zu altmodisch. Ich schenke sie Ihnen. Ich schenke sie dir, weil du nett bist.« Sie war frei. Ein unerhörtes Gefühl von Glück durchströmte Emilia. Sie war frei. Das Glück würde nicht währen. Aber für den Augenblick war sie frei. Sie befreite sich, sie befreite sich von Perlen und Diamanten. Im Anfang hatte ihre Stimme gezittert. Aber jetzt jubelte sie. Sie hatte es gewagt, sie war frei. Sie legte Kay den Schmuck an, sie knüpfte ihr die Kette im Nacken zu. Und auch Kay war frei, sie war ein freier Mensch, unbewußter als Emilia, war sie vielleicht um so selbstverständlicher frei, sie trat zum Spiegel, betrachtete sich lange mit dem ihr umgetanen Geschmeide, beachtete nicht Schellack, der offenen Mundes protestieren wollte und nicht die Worte fand, und sagte: »Ja. Es ist herrlich! Die Perlen, die Diamanten, das Geschmeide. Es ist wunderschön!« Sie wandte sich zu Emilia und sah sie mit ihren grünen Augen an. Kay war unbefangen, während Emilia doch etwas erregt war. Aber beide Mädchen hatten die herrliche Empfindung zu rebellieren, sie fühlten das wunderbare Glück, gegen Vernunft und Sitte zu rebellieren. »Du mußt auch etwas von mir nehmen«, sagte Kay. »Ich hab keinen Schmuck. Vielleicht nimmst du meinen Hut.« Sie nahm ihren Hut vom Kopf, es war ein spitzer Reisehut mit einer bunten Feder, und setzte ihn Emiliaauf. Emilia lachte, blickte in den Spiegel und rief entzückt: »jetzt sehe ich wie Till Eulenspiegel aus. Genau wie Till Eulenspiegel.« Sie schob den Hut in den Nacken, dachte ›besoffen, sieht besoffen aus, aber ich schwor's, ich hab' noch keinen Schluck getrunken, Philipp würd mir's nicht glauben‹. Sie lief zu Kay. Sie umarmte Kay, sie küßte Kay, und als sie Kays Lippen berührte, dachte sie ›herrlich, so schmeckt die Prärie‹ -
    - ›wie in einem Wildwestfilm‹, überlegte Messalina. Sie hatte Susanne in ihrer Wohnung nicht gefunden, aber man hatte ihr gesagt, daß sie in der Wirtschaft am Heiliggeistplatz zu finden sei. ›Wie in einem Wildwestfilm, aber wir drehen keine mehr, unkünstlerischer Klamauk.‹ Sie trat selbstbewußt in den Dunst, in die stinkende grausame Magie des Lokals, in dem man früher seinen Schoppen getrunken hatte, bevor man zur Hexenverbrennung auf den Markt ging. Messalina war schüchtern. Man sah es noch auf dem Bild, das sie als Kommunikantin zeigte, in weißem Kleid, eine Kerze in der Hand. Aber schon damals, als dieses Bild aufgenommen wurde, im Atelier eines der letzten Photographen, die noch Samt Jacken trugen und große schwarze Schmetterlingsschleifen und die »bitte recht freundlich« riefen (Messalina hatte kein freundliches Gesicht gemacht: ein schüchternes, aber schon ein schüchternes, das mit Trotz und Gewaltsamkeit gegen die Schüchternheit ankämpfte), schon damals wollte sie nicht schüchtern sein, nicht diese Rolle spielen, nicht gegen die Wand gedrückt werden, und es war der Tag der Kommunion, der Ausgangspunkt ihres Wachstums, ihre Blutung kam, und sie wuchs und nahm zu an Laster und Gemeinheit und Fleischesfülle, sie wurde zum lästerlichen gemeinen Denkmal, wo sie ging und wo sie stand, sie war ein Denkmal, das erschreckte oder begeisterte: wer wußte, daß sie schüchtern geblieben war? Doktor Behude wußte es. Aber Doktor Befinde war noch viel schüchterner als Messalina, und da erseine Schüchternheit nie wie sie ins Überdimensionale ausgeglichen hatte, wagte er, aus Schüchternheit, Messalina nicht zu sagen, daß sie schüchtern sei, und dabei wäre dies, hätte es Behude gesagt, ein Zauberwort gewesen, ein Wort der Denkmalzerstörung, und Messalina wäre in den schüchternen reinen Zustand der Vorkommunion zurückgekehrt. Alle betrachteten Messalina, die kleinen Nutten und die kleinen Zuhälter, die kleinen Diebe allzumal und auch der kleine Kriminalagent, der hier, von jedem als Kriminaler gekannt, verkleidet saß: Messalina schüchterte alle ein. Nur Susanne schüchterte sie nicht ein. Susanne dachte ›das Aas, wenn sie mir den Nigger vermasselt‹. Sie wollte denken ›dann kratze,

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