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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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beiße, schlage, trampele ich‹, aber sie dachte es nicht, sie war nicht eingeschüchtert, aber sie fürchtete sich, sie fürchtete Messalinas Schläge, denn sie hatte Messalinas Schläge gespürt. Susanne erhob sich. Sie sagte: »Moment, Jimmy.« Zwei Wolken des gleichen Parfüms, Guerlain Paris, vereinten sich, hielten stand gegen Schweiß, Pisse, Zwiebel, Wurstbrühe, gegen Bierdunst und Tabakrauch. Susanne wurde aufgefordert, am Abend zu Alexander zu kommen, und sie dachte ›ich war' schön blöd wenn ich's täte, ein schlechtes Geschäft, wenn aber Alexander doch mit mir schliefe? ja, er schläft, aber nicht bei mir, er kann nicht mehr, und wenn er könnte, wer glaubt es mir, und wenn mir es keiner glaubt, ist mir der Nigger am Arsch lieber, der kann, wenn ich auch garnicht drauf aus bin, aber die unbefriedigten Weiber? ohne mich, ERSTE LEGION WARNT VOR OHNE-MICH-PAROLE, JUSTIZMINISTER SAGT WER FRAU UND KIND NICHT VERTEIDIGT, IST KEIN MANN ‹. Doch empfand es Susanne als unpassend, einer Dame, Dame der Gesellschaft, Überdame einer von Susanne unklar empfundenen Denkmalhaftigkeit, eine Einladung abzuschlagen. Sie sagte, sie käme, natürlich, gern, geehrt und mit Freuden, und sie dachte ›du kannst lange warten, leck mich, aber leck mich aus der Ferne, meine Ruh will ich haben, meinst, du bist was Besseres als ich? ichmöchte mich mit dir noch lange nicht vergleichen‹. Messalina hatte sich im Lokal umgesehen. Sie hatte Susannes freien Platz neben Odysseus entdeckt, und sie sagte: »Bring doch einen Schwarzen mit, wenn du willst.« Sie dachte › viel leicht ist er was für die Schwulen ‹. Susanne wollte antworten, wollte eine Ausrede finden, wollte sagen, daß sie mit dem Neger nichts zu tun habe, oder sie konnte auch für den Jimmy oder den Joe zusagen, es war ja egal, sie ging ja doch nicht hin, da erhob sich Geschrei und Gewalt. Odysseus war bestohlen worden, sein Geld war verschwunden, weg waren die Dollars und die deutschen Scheine, der Musikkoffer spielte Jimmys-Boogie-Woogie, König Odysseus war gekränkt, er war beleidigt, man hatte ihn überlistet, ihn, den Listigen überlistet, er griff sich den Nächsten, langte sich einen Zuhälter oder einen Dieb oder den kleinen Kriminalagenten, beschuldigte ihn, schüttelte ihn, »seht den Gorilla, King Kong, Ficker, schmeißt ihn raus den Niggerficker, raus«, die Meute sprang auf, die Herde setzte sich durch, Kameradschaft siegte, GEMEINNUTZ GEHT VOR EIGENNUTZ , sie stürzten sich auf ihn, sie nahmen Bierseidel, Stuhlbeine, feststehende Messer, sie stürzten sich auf den großen Odysseus, die Schlacht brandete, tobte, ruckte, Odysseus war in Feindesland, es ging um sein Leben, der Tisch schlug um, Josef hielt den Musikkoffer, er hielt ihn über sich, schützend hielt er Jimmys- Boogie- Woogie über sich, die Töne rasselten, die Synkopen fauchten, es war wie im Unterstand, da war wieder das Trommelfeuer, der Chemin-des-Dames, der Argonnerwald, doch Josef nahm nicht teil am Kampf, er entsühnte sich, er tötete nicht, er trieb in den Wellen eines fernen Stroms, floh mit Odysseus, der sich freigekämpft hatte, umflossen von der Musik des Stromes des fernen Erdteils, Jimmys- Boogie- Woogie. Messalina stand allein, innerlich verschüchtert und äußerlich ein Denkmal, im Trubel. Ihr geschah nichts. Der Kampf bewegte sich um das Denkmal herum. Niemand beleidigte Messalina. Sie stand inmitten des Lokals wie ein allgemeinrespektiertes Monument, das hierher gehörte. Susanne aber folgte dem neuen Freund. Es wäre klug gewesen, es nicht zu tun. Es wäre klug gewesen zu bleiben. Vielleicht wäre es sogar klug gewesen, mit Messalina zu gehen. Aber da Susanne Kirke und die Sirenen und vielleicht noch Nausikaa war, mußte sie Odysseus folgen. Sie mußte ihm gegen alle Vernunft folgen. Sie war mit Odysseus verstrickt. Sie hatte es gar nicht so recht gewollt. Sie hatte nicht widerstehen können, sie war dumm gewesen, und jetzt war sie töricht. Odysseus und Josef liefen über den Heiliggeistplatz. Susanne lief hinterher. Sie folgte Jimmys- Boogie- Woogie.
    Die Glocken der Heiliggeistkirche läuteten. Auf den Fliesen knieten Emmi und Hillegonda. Es roch in der Kirche nach altem Weihrauch und frischem Mörtel. Hillegonda fror. Sie fror mit ihren nackten Knien auf den kalten Fliesen. Emmi schlug das Kreuz und-vergib-uns-unsere-Sünden. Hillegonda dachte ›was ist denn nur meine Sünde? wenn es mir nur jemand sagen täte, ach, Emmi, ich fürchte mich‹. Und Emmi betete:

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