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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Sweater an. Er war ungekämmt und sah aus, als wäre er eben, durch ein Klingeln erschreckt, aus dem Bett gesprungen. Neben ihm hielt sich Hänschen, sein Freund, ein semmelblonder, leicht geschminkter Sechzehnjähriger in einem blauen Konfirmandenanzug, sehr artig. Er blickte mit kalten wasserhellenAugen auf die Modeschöpfer und ihre Puppen, Hänschen, Hänschen klein, war Hans im Glück: er wußte, wo was zu holen war. Jetzt erschien auch Alfredo, die Bildhauerin. Ihr angestrengtes, müdes, enttäuschtes Gesicht, das Spitzgesicht einer Katze von den Inschriften der Pyramiden, war gerötet, als hätte sie sich selber geohrfeigt, um Mut und Frische für den Abend zu gewinnen. Gegen Messalina wirkte Alfredo so zierlich und klein, daß man wünschte, Messalina möge Alfredo auf den Arm nehmen, damit sie alles gut sehen könne. Alexander wurde beglückwünscht. Ein paar Wichtigtuer und ein paar Speichellecker beglückwünschten ihn. Sie hofften, mit auf die Blitzlichtaufnahmen und in die Zeitungen zu kommen: ALEXANDER IM GESPRÄCH MIT PIPPIN DEM KLEINEN, BUND ERWÄGT KULTURPFENNIG STIFTET AKADEMIE. SIE SPRACHEN VON DER ERZHERZOGLIEBE, BESSERE FILME IM NEUEN DEUTSCHLAND, LIEGT ES AM DREHBUCH, DICHTER AN DIE FILMFRONT . »Es soll ein so wundervoller Film sein«, schwärmte eine Dame, deren Mann den Gerichtskurier herausgab, VAMPYR IN FRAUENKLEIDERN , und damit genug Geld verdiente, um seine Frau bei den femininen Modeschöpfern anziehen zu lassen. »Ein Schmarren«, sagte Alexander. »Wie witzig Sie wieder sind«, flötete die Dame. ›Natürlich‹, dachte sie‹, natürlich ist es ein Schmarren, aber warum sagt er's so laut? ist es vielleicht doch kein Schmarren? dann ist es sicher ein ernster und langweiliger Schmarrens NEOREALISMUS NICHT MEHR GEFRAGT . Die Lehrerinnen aus Massachusetts saßen in der vordersten Reihe. Sie hatten ihre Merkbücher in der Hand. Sie hielten die im Blitzlicht Stehenden für Koryphäen des europäischen geistigen Lebens. Sie hatten das Glück gehabt, keine Filme mit Alexander zu sehen. »Es ist ein sehr interessanter Abend«, sagte Miss Wescott. »Ein Zirkus«, sagte Miss Burnett. Sie schielten beide zur breiten Eingangstür, ob nicht Kay endlich noch käme. Sie waren beide sehr besorgt um Kay. Edwin wurde durch eine kleine besondere Pforte auf dasPodium geführt. Die Photographen knieten wie Schützen nieder und feuerten ihr Blitzlicht ab. Edwin verneigte sich. Er hatte die Augen geschlossen. Er zögerte den Moment hinaus, da er in sein Auditorium blicken mußte. Ihm war ein wenig schwindlig. Er glaubte, er würde kein Wort sprechen können, keinen Ton aus der Kehle bekommen. Er schwitzte. Er schwitzte vor Angst, aber er schwitzte auch vor Glück. So viele waren gekommen, ihn zu hören! Sein Name hatte sich durchgesetzt in der Welt. Er wollte es nicht überschätzen. Aber die Menschen kamen, um seinen Worten zu lauschen. Edwin hatte sein Leben den geistigen Bemühungen geweiht, er war zum Geist gekommen, er war Geist geworden, und nun konnte er den Geist weitergeben: Jünger empfingen ihn in jeder Stadt, der Geist würde nicht sterben. Edwin legte sein Manuskript auf den Lesetisch. Er rückte die Lampe zurecht. Er räusperte sich. Aber noch einmal wurde die breite Tür geöffnet, und Philipp und Kay liefen die Stufen hinunter, die in den Saal führten. Philipp hatte Kay vor der Tür getroffen. Der Ordner wollte sie nicht mehr hineinlassen, aber Philipp hatte die Pressekarte des Neuen Blattes wie einen Zauber gezückt, und der Ordnungsmann hatte die Tür freigegeben. Philipp und Kay setzten sich abseits des Auditoriums auf zwei Klappstühle, die bei Theateraufführungen für den Feuerwehrmann und den Polizisten reserviert waren. Zu Edwins Vortrag war kein Feuerwehrmann und kein Polizist gekommen. Miss Wescott stieß Miss Burnett an: »Sehen Sie das?« flüsterte sie. »Es ist dieser deutsche Dichter, ich weiß seinen Namen nicht«, sagte Miss Burnett. »Sie hat sich mit ihm herumgetrieben.« Miss Wescott war entrüstet. »Wenn sie weiter nichts getan hat«, sagte Miss Burnett spitz. »Es ist furchtbar«, stöhnte Miss Wescott. Sie wollte aufspringen und zu Kay gehen; sie hatte das Gefühl, daß man die Polizei rufen müsse. Aber wieder räusperte sich Edwin, und Stille senkte sich über den Saal. Edwin wollte mit der griechischen und lateinischen Antike beginnen, er wollte die Christenheit erwähnen, die Verbindung biblischer Tradition mit der Klassik, er wollte von der Renaissance sprechen

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