Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
aber noch nicht. Ich werde versuchen, dich wie einen Menschen zu behandeln. Das reicht für den Anfang.«
Pop schlief, als ich ins Zimmer kam. Den Nagelknipser und die Bücher, die ich von zu Hause mitgebracht hatte, legte ich auf seinen Nachttisch. Ich rückte den Stuhl nah ans Bett und blätterte
in dem oben liegenden Buch, Totschlag von Paul Cain. Ich hatte gerade die erste Kurzgeschichte zu Ende gelesen, als Pop sich bewegte. Er reckte sich leicht und stützte sich mit beiden Händen an der Matratze ab, um sich ein wenig aufzurichten. Er sah mich blinzelnd an und brauchte eine Sekunde, bis er mich wahrnahm.
»Hast du deine Linke fallen lassen?«, fragte er lässig und starrte auf meine blauen Flecken.
Ich wollte ihm nicht sagen, dass es mit der Suche nach Yolanda zu tun hatte. Er sollte sich nicht dafür verantwortlich fühlen.
»Und meine Rechte auch. Es war nur ein Missverständnis.«
»Ein Missverständnis hat dein Gesicht so zugerichtet?«
»Nein, das war meine Schuld. Ich habe einen Fehler begangen. Ich habe vorgegeben, jemand zu sein, der ich nicht mehr bin.«
Pop lachte. »Ach, mein Junge wird ganz poetisch. Keine Sorge, du brauchst es mir nicht zu erzählen. Du bist erwachsen. Aber willst du meine objektive Einschätzung hören? Du hast dich nicht so sehr verändert, wie du glaubst. Niemand verändert sich so sehr.«
»Wie fühlst du dich heute?«, fragte ich.
»Ich fühle mich so, wie du aussiehst«, sagte er.
»Ja, blöde Frage.«
»Ich mache nur Witze«, sagte Pop und drückte meine Schulter. Ich ließ mir nicht anmerken, dass er einen Bluterguss erwischt hatte.
»Bist du wach genug für noch ein paar Witze? Lass uns ›Kommt in eine Bar‹ spielen«, sagte ich.
»Willst du denn schon wieder eins draufkriegen?«, fragte er leicht drohend.
»Zeig’s mir, alter Mann.«
»Kommt in eine Bar« war ein Spiel, mit dem Pop und ich bei unseren Telefongesprächen angefangen hatten. Es beruhte auf einem Witz: Kommt ein Frosch in eine Bar. Sagt der Wirt: »Frösche bedienen wir hier nicht.« Sagt der Frosch: »So ’n Quak!«
Bei dem Spiel geht’s darum, so viele schlechte Wortspiele und Pointen zu erfinden wie möglich. Es ging es nicht darum, dass die Pointe richtig saß, sondern wie man ein Thema einbaute.
Ich war der Herausforderer, also durfte Pop das Thema wählen. »Ein Brett«, sagte er.
Man hatte keine Zeit, sich vorzubereiten. Eine der Schwierigkeiten war, sich schnell eine Pointe einfallen zu lassen, während man den Witz erzählte. Wir haben immer den ganzen Witz von Anfang an erzählt.
Ich fing an: »Ein Brett kommt in eine Bar. Sagt der Wirt: ›Bretter bedienen wir hier nicht.‹ Sagt das Brett: ›Da bin ich aber platt.‹«
Pop lächelte überlegen und kam dann mit seiner Version: »Ein Brett kommt in eine Bar. Sagt der Wirt: ›Bretter bedienen wir hier nicht.‹ Sagt das Brett: ›Ich könnte aber ein paar Nuten gebrauchen.‹«
»Die erste Runde geht an den alten Mann«, lachte ich. »Den hattest du doch schon in petto. Wann hast du dir den denn ausgedacht?«
»Vor ein paar Tagen. Ich wusste, du würdest mich irgendwann herausfordern.« Er lächelte.
»Dafür bekommst du einen Punkt. Wie viele Brett-Pointen hast du noch auf Lager?«
»Das war die einzige.« Er legte die Hand aufs Herz, als würde er schwören. »Die ist mir nur so eingefallen. Die musste ich unterbringen.«
»Eins zu null. Ein Brett kommt in eine Bar …«, ging das Spiel weiter.
Wir spielten die nächste halbe Stunde. Pop gewann haushoch. Fünfzehn zu sechs. Er gewann meistens; und diesmal kam er mit »Ich hätte aber gern einen Caffè Latte getrunken«, »Was Sie nicht sägen«, »Das ist doch planke Diskriminierung« und vielen weiteren. Mir fiel nichts Besseres ein als »Das ist aber ganz schön behämmert«, »Ich dachte, das wäre hier die Holzklasse« und, ganz besonders peinlich: »Aber ich suche nur jemanden, der mich nagelt.« Ich würde es ja auf meine Kopfschmerzen schieben, aber Pop war einfach der schnellere Denker. Es ging aber nicht ums Gewinnen. Es ging ums Lachen. In der Beziehung hatten wir beide gewonnen. Aber in Wirklichkeit hatte ich verloren.
»Hat der Zustand deines Gesichts was mit der Schnepfenjagd zu tun, auf die ich dich gestern geschickt habe?«, fragte Pop.
»Nein«, log ich.
Pop sah mir ins Gesicht. Er lehnt sich zurück, sein Kopf in der Mitte des Kissens, und starrte auf die Popcornstruktur der Decke. »Ich weiß zu schätzen, dass du lügst, aber das war noch nie
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