Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
schmachvoll gewesen sein, wieder zu seinen Freunden zu kommen, ohne ihnen Wein mitzubringen. Während er solches bei sieh erwog und fürchtete, es könnte die Nachtwache mit ihrer Laterne sein, näherte sich der Lichtträger immer mehr, und er erkannte, daß es ein junger Mann war, der vor einem Greise herging, dem ein anderer Sklave folgte. Der Gesichtsausdruck des Greises ließ auf eine große Weisheit schließen; sein weißer Bart wallte bis zum Gürtel herab, und er hatte einen Stab in der einen Hand und eine Gebetsschnur in der andern. Jahia drückte sich an die Mauer, um sie vorbeizulassen, und hoffte im stillen, sie würden ihn nicht bemerken. Als sie jedoch nahe herangekommen waren, hörte er, wie der Alte zu Allah betete und sprach: ›O Herr, im Namen aller Himmel, der sieben Erden Adams und Evas, der glücklichen Propheten, der Heiligen, der Gerechten und Tugendhaften, ich habe heute das achtzigste Jahr meines Lebens erreicht; die schönste Zeit meines Lebens ist vorüber, und du hast es mir in deiner Gnade bisher nicht an einem Gaste fehlen lassen. Heute soll ich das erstemal allein speisen; du weißt es, o großer Allah, wie unerträglich mir das ist! Ich bitte deine göttliche Erhabenheit, wenn du mit der Ehrfurcht zufrieden bist, so ich dir während langer Jahre erwiesen habe, laß mich jemanden finden, der mit mir speisen und mich unterhalten will!‹ Jahia sah ihn mit lähmender Angst an, und der Wortlaut seines Gebetes ließ ihn erzittern. ›Muß das nicht ein großer Prophet sein?‹ sprach er zu sich selbst. ›Was wird aus mir, wenn er mich Wein tragen sieht!‹ Diese Erwägungen peinigten ihn, als er bemerkte, wie der Scheich – denn als einen solchen erkannte er ihn – trotz der Finsternis der Nacht alle Dinge zu erkennen versuchte; und als er ihn selbst erblickt hatte, alsbald seinem Laternenträger befahl, das Licht näher zu bringen. Dann betrachtete er ihn sehr aufmerksam; und so sehr Jahia auch der Wunsch ankam, sich ihm zu Füßen zu werfen, so konnte er es in Anbetracht der Krüge, mit denen er beladen war, doch nicht tun. Der Scheich begann, Allah für die Begegnung, die er bewirkt hatte, zu danken und sagte dann zu Jahia: ›Du siehst, o Jüngling, wie groß meine Dankbarkeit gegen Allah ist und wie sehr ich ihm für die Gnade, dich hier anzutreffen, verbunden bin. Ohne dich würde ich nicht gespeist haben; komme doch in mein Haus; schlage es mir, der dich inständig darum bittet, nicht ab!‹ Solche Worte verdoppelten Jahias Bestürzung; ›sicherlich‹, sagte er zu sich selbst, ›ist dieser Greis ein Heiliger; ich habe schon Allahs Zorn verdient, dieweil ich Wein trage; wenn ich mir nun seinen noch zuziehe, indem ich die Einladung ausschlage, verschlimmere ich mein Vergehen nur. Nehme ich indessen seinen Vorschlag an, darf ich nicht daran denken, die wiederzusehen, die mich erwarten.‹ In dieser Unsicherheit bewahrte er ein tiefes Schweigen; als der Scheich nun bemerkte, daß er die Hände immer unter seinen Mantel hielt, dachte er sich, daß er irgend etwas verbärge, und streckte, um seiner Verwirrung ein Ende zu machen, die Hand aus, hob Jahias Mantel hoch und sprach, als er die Krüge erblickte: ›Ich kann mir wohl denken, daß dich der Wein verlegen macht, aber meinetwegen brauchst du nicht bestürzt zu sein. Nach welcher Richtung willst du gehen? Ich werde dich begleiten oder dir wenigstens von weitem folgen, um dich zu schützen: mit einem Worte, will alles tun, so dir gefällt; doch eines sage ich dir, ohne dich will ich nicht nach Hause gehen.‹ Jahia beruhigte sich bei der Milde des Greises und war entzückt, über etwas derartig Verbotenes keine Vorwürfe zu erhalten, und erzählte ihm offenherzig, weshalb er sich mit diesem Auftrage beschwert hatte. ›Meine Freunde erwarten mich ungeduldig,‹ fügte er hinzu, ›denke darüber nach, was ich machen soll, und sage es mir!‹ Der Greis aber antwortete ihm: ›O mein Sohn, deine Rede zu hören, hat mir mehr Freude gemacht, als der Anblick der schönsten Perle. Du würdest alle Welt bestechen und hast mein Herz gewonnen; wisse also, daß der, dem du eine so hohe Meinung eingeflößt hast, der aus Magnesia gebürtige Scheich Ebulkiar ist. Seit sieben Jahren wohne ich in Skutari und bin achtzig Jahre alt geworden, ohne jemals allein gegessen zuhaben; und durch Allahs besondere Gnade hat man mir so viele Gelübde und Opfer dargebracht, daß ich alle, so zu mir kommen, bewirten kann. Stellt sich zufällig kein Fremder
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