Tausend weisse Flocken
sah schlimm aus, doch das war wohl der Preis, den man zahlte, wenn man jegliche Vorsicht für einen kurzen Moment der Ekstase über Bord warf.
Eine der Frauen aus dem Schönheitssalon wartete draußen auf der Veranda. "Tut mir Leid, Sie zu stören, Miss Durocher", sagte sie. "Mein Name ist Liz. Ich habe gestern die Gesichtsbehandlung bei Ihnen gemacht."
"Ja, ich weiß", erwiderte Claire. "Was kann ich für Sie tun?"
"Zach ist aufgefallen, dass Sie heute nicht zum Frühstück erschienen sind, und er hat mich gebeten, nach Ihnen zu sehen.
Er wäre selbst gekommen, aber er ist sehr beschäftigt."
Er war zu beschäftigt, um ein wenig Feingefühl zu zeigen?
Zu gleichgültig ihr gegenüber, jetzt, da er bekommen hatte, was er gewollt hatte? Oder war er bereits wieder auf der Jagd nach einem neuen Opfer?
"Danke", sagte Claire schließlich. "Sie können ihm ausrichten, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, denn es geht mir bestens."
"Aber Sie sind ein bisschen blass, Miss Durocher. Wenn Sie sich nicht gut fühlen, vereinbare ich gern einen Termin beim Arzt für Sie."
Wozu? Damit man ihr bestätigte, was sie bereits wusste?
Dass sie ihre Jungfräulichkeit an jemand weggeworfen hatte, der nicht einmal gewusst hatte, wer unter ihm lag? Denn Zachary hatte leider Recht gehabt! Er war der erste Mann, mit dem sie geschlafen hatte.
"Ich brauche keinen Arzt, Liz", entgegnete Claire und straffte sich. "Ich habe gestern Abend gefeiert und deswegen länger geschlafen. Wenn Sie Mr. Alexander sehen, sagen Sie ihm bitte, dass ..."
"Ich werde ihn erst mal nicht sehen. Er ist vor ungefähr einer Stunde weggefahren und kommt erst am Spätnachmittag zurück."
Was für ein Segen! dachte Claire. Sie hatte seit fast fünfzehn Stunden nichts mehr gegessen und hatte großen Hunger.
Allerdings hätte es ihr den Appetit verschlagen, wenn sie Zachary beim Mittagessen getroffen hätte.
Und wenn heute, am Heiligabend, alle zusammenkamen, um gemeinsam zu feiern, und sie ihm nicht aus dem Weg gehen konnte, was dann? Dann würde sie eine fröhliche Miene aufsetzen, um ihren Kummer zu verbergen. Sie würde das Kleid aus violett, blau und grün geflammtem Seidenmoiré und die Smaragdohrringe tragen. Sie würde lachen und tanzen und so in Weihnachtsstimmung sein, dass niemand von ihrem gebrochenen Herzen ahnte.
Und Zachary Alexander sollte sich zum Teufel scheren! Sie würde ihn jedenfalls keines Blickes würdigen, denn lieber wollte sie sterben, als ihm den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich nach seiner Aufmerksamkeit sehnte.
Beim Mittagessen traf Claire Melanie, die ganz im Bann der ersten Liebe stand, und dem Ausdruck in lan Dawsons Augen nach zu urteilen, beruhten diese Gefühle auf Gegenseitigkeit.
"Hast du Lust, heute Nachmittag Ski zu laufen, Melanie?"
fragte Claire, ohne die Miene zu verziehen.
"Lust hätt ich schon, aber ich hab mich mit lan zum Schlittschuhlaufen verabredet. Wenn du willst, kannst du mitkommen."
Melanie wirkte so geknickt, dass Claire sofort ein schlechtes Gewissen bekam. "Ich habe doch nur Spaß gemacht, cherie!
Dein Freund wäre bestimmt enttäuscht, wenn du einen Anstandswauwau mitbringen würdest."
"Oh." Sichtlich erleichtert, gestand Melanie: "Er wollte wissen, was meine Lieblingsfarbe ist, und vorhin hab ich ihn in der Geschenkboutique gesehen. Vielleicht kauft er mir ein Weihnachtsgeschenk. Und er hat mich gefragt, ob ich heute Abend beim Essen neben ihm sitzen möchte."
"Und du hast natürlich Ja gesagt?"
Melanies rosige Wangen färbten sich noch dunkler. "Ja. Es ist mein erstes Rendezvous, und ..."
"Und du hast wieder einmal nichts anzuziehen", meinte Claire lachend. "Dann lass uns mal überlegen, was wir für dich haben."
"Würdest du das wieder für mich tun?"
"Ja, wenn du mir einen Gefallen tust und mir sagst, wo die besten Loipen sind."
"Ich zeichne dir eine Karte", erbot sich Melanie. "Meine Lieblingsloipe ist die, auf die nie ein Hotelgast geht, weil sie zuerst ziemlich steil ist und man einen ganzen Nachmittag dafür braucht. Aber der Aufstieg lohnt sich, und oben gibt es eine Hütte, von der man eine tolle Aussicht hat. Dahin fahr ich immer, wenn ich mal allein sein will. Es ist sehr friedlich dort, und es gibt sogar einige Vorräte. Man kann sich dort prima ausruhen, bevor man zurück ins Tal fährt."
Melanie hat wirklich nicht übertrieben, dachte Claire einige Stunden später. Der Ausblick von der kleinen Veranda vor der Hütte machte den mühsamen Aufstieg allemal wett.
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