Tausend Worte der Liebe
abwehrend beide Hände aus: »Entschuldigen Sie!«
Shay seufzte. »Nein, entschuldigen Sie. Ich sollte nicht so gereizt sein. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass wir am Montag gleich morgens mit den Dreharbeiten anfangen wollen. Haben Sie Ihren Text schon gelernt?«
Text! Wenn Shay nicht mit wichtigeren Dingen den Kopf voll gehabt hätte, wäre das ein Grund zum Lachen. »Diese eine Zeile! Danach lese ich die Angebote der Woche vor. Was soll ich dafür groß lernen, Richard?«
»Ich dachte, wir könnten heute Abend eine Probe machen.« Shay schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Meiner Mutter geht es nicht gut. Sofort nach Büroschluss muss ich ins Sanatorium fahren.«
»Und danach …«
»Mein Sohn startet morgen zu einer vierwöchigen Ferienreise mit seinem Onkel. Da kann ich wirklich nicht weg.«
»Shay …«
Nun streckte Shay abwehrend die Hände aus. »Schluss, Richard. Marvin und Sie haben mir die Sache aufs Auge gedrückt, okay. Aber es wird so gemacht, wie ich es will – oder gar nicht.«
Er verzog unwillig den Mund. »Also auch launisch, Shay? Ich hab’ sie wohl unterschätzt. Sie sind Ihrer Mutter doch ähnlicher, als ich dachte.«
Das Telefon summte, und weil die Zentrale unbesetzt war, musste Shay alle Anrufe entgegennehmen. Ein Kunde verwickelte sie in ein längeres Gespräch, derweil leuchteten sämtliche anderen Nummern zugleich auf. Shay hatte alle Hände voll zu tun, und Richard Barrett verschwand schließlich unverrichteter Dinge.
Pünktlich zur vereinbarten Zeit fuhr samstagmorgens Garretts Wohnmobil vor, bequemer und luxuriöser ausgestattet als manches Apartment. Die Sonne schien strahlend vom wolkenlosen, tiefblauen Himmel, und Hank war selig. Nach der ersten Begrüßung nahm Maggie ihn unter ihre Fittiche, damit Shay und Garrett ungestört nach Seaview zu Rosamond fahren konnten.
Ihr kleines Lieblingskissen hatte sich eingefunden, und die Kranke saß wieder friedlich im Stuhl.
Für Garrett, der noch die berühmte, extravagante Diva in bester Erinnerung hatte, war Rosamonds Anblick ein Schock.
»Gütiger Himmel!«, murmelte er.
Beim Klang der Männerstimme hob sie den Kopf. Ihre einst violetten Augen sahen erstaunt in Garretts Richtung. »Riley?«, fragte sie leise.
Shay lehnte an der Wand neben der Tür. »Nein, Mutter«, begann sie, »das ist …«
Garrett brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er ging auf Rosamond zu und kauerte sich neben ihrem Stuhl nieder.
Er sieht Riley zum Verwechseln ähnlich, dachte Shay.
Garrett streckte sich und küsste Rosamonds blasse, marmorne Stirn. »Hallo, Roz!«, sagte er lächelnd.
Der Freudenschimmer, der über Rosamonds Gesicht huschte, tat Shay im Herzen weh. »Riley«, wiederholte Rosamond.
Garrett nickte. Er nahm ihre Hände und drückte sie. »Wie geht es dir?«, fragte er sanft.
Tränen schössen in Shays Augen, als sie beobachtete, wie Rosamond Garretts Lächeln erwiderte. Mit einer raschen Bewegung wendete Shay sich ab und lief in das angrenzende, kleine Badezimmer. Dort blieb sie stehen, blass und zitternd und einmal mehr voll trügerischer Hoffnung, dass Rosamonds Reaktion ein Zeichen der Besserung sein könnte.
Als Shay sich wieder in der Gewalt hatte, kehrte sie zu Rosamond und Garrett zurück. Die Kranke schien jetzt wieder weit, weit weg zu sein, irgendwo in ihrer eigenen, fremden Welt. Aber das eigentümliche Lächeln lag noch immer auf ihren Lippen.
Garrett legte den Arm um Shay und führte sie aus dem Krankenzimmer. Bevor er sie losließ, um durch die Halle zum Ausgang zu gehen, küsste er sie brüderlich auf die Wange.
»Armes Mädchen«, sagte er mitfühlend und drückte Shay nochmals an sich. Den Mann, der an der Rezeption stand und die Szene stirnrunzelnd verfolgte, beachteten beide nicht.
4. KAPITEL
Als Hank in Garretts und Maggies Wohnmobil verschwand, spürte Shay, wie sich in ihrem Hals ein dicker Kloß bildete. Hank war doch erst sechs, viel zu klein, um einen ganzen, langen Monat ohne sie zu verreisen.
Garrett lachte und gab Shay einen Abschiedskuss. »Entspann dich«, drängte er. »Maggie und ich werden gut auf ihn achtgeben. Das verspreche ich dir.«
Shay nickte und nahm sich zusammen. Ob sechs oder sechzig – Hank war eine eigenständige Person. Er sollte lernen, sich auch ohne Mutter zurechtzufinden.
Garrett strich ihr liebevoll über die Wange. »Geh ins Haus, und mach dich für die Party hübsch, Amazone. Lackier dir die Nägel und leg’ dich in
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