Tausend Worte der Liebe
Anschließend würde sie Ivy zum Essen einladen. »Warum fragst du nicht, weshalb mir so mies zumute ist, Ivy? Von dir bin ich solche Unterlassungssünden nicht gewohnt.«
Ivy setzte sich auf und lächelte. »Ich brauche nicht fragen, weil ich es weiß. Es läuft nichts mehr zwischen dir und Mitch.«
»Freust du dich drüber?«
»Ist ja nur vorübergehend. Mit Sicherheit! Kommst du nun mit oder nicht?«
»Ja. Lass mich aber erst meinen Kaffee austrinken.«
»Nichts gibt’s, wir müssen uns beeilen. Du kannst dort einen trinken. Geh unter die Dusche, und dann fahren wir.« Shay protestierte zwar, stand aber auf und beeilte sich tatsächlich.
Mitten in der großen Scheune stand das Karussellpferd, als hätte es auf Shay gewartet. Die Farbe blätterte an vielen Stellen ab und war stumpf geworden. Shay hielt den Atem an und lief darauf zu, ungläubiges Erstaunen im Blick. War es möglich, war das ihr Clydesdale?
Sie bückte sich und suchte eine bestimmte Stelle am rechten Hinterhuf. Tatsächlich, eine Spur von Rosamonds knallrotem Lieblingsnagellack war picht zu übersehen. An einem verregneten Nachmittag hatte Shay vor vielen Jahren selbst den Lack dorthin auf das Holz gepinselt.
Leute traten näher, und eine Frau interessierte sich offensichtlich auch für Clydesdale. »Harold«, meinte sie, »schau mal, wäre das nicht wahnsinnig dekorativ als Blumentisch? Frisch gestrichen …«
Shay musste an sich halten, um die Frau nicht wegzuschubsen. Hilfe suchend sah sie sich nach Ivy um, die an einer langen Tafel Butterdosen aus Sterling-Silber begutachtete.
Das Pferd, genauso wie das große Spielhaus, waren Geschenke von Riley gewesen, aus der Zeit, als sie noch eine glückliche Familie waren.
Es musste eine Menge gekostet haben, und Shay liebte es sehr. Bei erster Gelegenheit, als Shay im Sommercamp war, hatte Rosamond später das wertvolle Stück ohne die geringsten Skrupel zu Geld gemacht.
Am liebsten hätte Shay jetzt den Arm um das Holzpferd gelegt, es festgehalten und mögliche Interessenten mit ihrer Handtasche abgewehrt.
»Das ist hübsch.« Ivy war nähergekommen und bestaunte das geschnitzte Andenken an Shays Kinderzeit. »Willst du bieten?«
Neben ihnen unterhielt sich das Ehepaar noch immer darüber, wie man Clydesdale am besten in einen Blumenständer umfunktionieren könne.
»Vielleicht«, antwortete Shay leise und presste die Lippen zusammen. Als die Versteigerung endlich anfing, war Shay fast hysterisch vor Angst, obwohl sie sich größte Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen. Als das Pferd an die Reihe kam, wartete sie ab, bis nur noch Harold und seine Frau übrig geblieben waren. Nun hob Shay ihre Hand.
Es dauerte lange, bis das Ehepaar auf der Strecke blieb, und der Endpreis war schließlich sehr hoch. Doch Shay hätte ohne mit der Wimper zu zucken auch noch weiter geboten. Als der Auktionator ihr den Zuschlag gab, war sie glücklich und umarmte Ivy.
»Weshalb bist du so versessen auf das Ding?«, flüsterte Ivy, die keine Ahnung hatte, was in Shay vorging.
Diese Frage vermochte Shay nicht sofort zu beantworten. »Sag’ ich dir nachher«, flüsterte sie zurück.
Ivy verlor dann vorübergehend das Interesse an Shays Neuerwerbung, denn die silbernen Butterdosen kamen dran. Später, nachdem Shay den Scheck ausgestellt hatte und mit einem Spediteur die Anlieferung perfekt machte, wiederholte Ivy ihre Frage. Aber erst, als sie im Wagen saßen und zum Essen fuhren, wurde ihre Neugier befriedigt.
»Das Pferd hat früher mir gehört. Einer von Mutters Ehemännern schenkte es mir, als meine Mandeln rausgenommen wurden. Es war Riley, er hat mich immer sehr verwöhnt.«
»Oh«, dafür hatte Ivy volles Verständnis. »Finde ich toll.«
Shay konnte es nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen. Das Karussellpferd sollte gegen sechs Uhr gebracht werden, und bis dahin wollte sie Platz geschaffen haben und mit Sandpapier und Farbe parat stehen. Sie breitete auf dem Fußboden ihres Wohnzimmers alte Zeitungen aus und war kaum damit fertig, als die Zusteller klingelten. Vorsichtig wurde Clydesdale aus weichen, schützenden Decken gewickelt. Die Männer machten ihre Witze und dachten sich ihren Teil, aber das Trinkgeld war ihnen schon recht. Shay war heilfroh, als sie wieder draußen waren.
Vorsichtig löste Shay mit einem Spezialmittel die alte Farbe ab. Das Zeug stank, und bald war nicht nur ihr Arbeitskittel, sondern auch Hände und Arme verschmiert. Als das blanke Holz überall zum Vorschein
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