Tausend Worte der Liebe
»Warte Shay!«, rief sie und ließ alle anderen stehen. »Ich muss mit dir über die Hochzeit reden!«
Um dem Tumult zu entgehen, schob sie die Freundin in ihr Büro und schloss energisch die Tür. »Du siehst nicht besonders wohl aus, Shay. Was ist los?«
»Fang nicht damit an, Ivy. Ich bekomme genug Deutungen von Mitch und Alice.« Sie saßen sich gegenüber, und Shay fühlte sich in der vertrauten Umgebung wie eine Fremde.
»Verstehe, ich bin schon still. Wann kannst du zur Anprobe kommen für dein Ehrendamenkleid?«
Das hatte Shay total vergessen. Schnell fasste sie sich und sagte mit betonter Fröhlichkeit: »Flexibel wie eh und je – jederzeit.«
»Passt es morgen Abend bei mir? Bring Hank und Alice mit, und wir essen zusammen.«
»Hank werde ich überreden, aber Alice trifft sich mit einem Verehrer.« Hoffentlich fragte Ivy jetzt nicht, wie die Sache mit Mitch stand.
»Was macht der Partyservice?«
»Hektisch. Und wie gefällt dir der neue Job?«
Ivy lächelte nachdenklich. »Die meiste Zeit komme ich gut zurecht.«
Sie vergewisserte sich durch einen Blick zur Tür, dass die auch fest geschlossen war. Dann senkte sie die Stimme und lehnte sich nach vorn: »Shay, ich glaube … ich glaube …«
»Was, Ivy?«
»Ich glaube, ich bin schwanger«, platzte sie heraus, und es war für Shay unmöglich festzustellen, ob Ivy sich freute oder nicht. Eins wusste sie allerdings: Sie beneidete Ivy – und nicht zu knapp. »Weiß es Todd?«
Ivy nickte. »Er ist begeistert.«
»Und du? Du auch?«
»Ja, natürlich. Doch ich hab’ Angst, es meiner Mutter zu sagen. Sie kriegt zu viel um die Ohren, auch wegen der Hochzeit und dem weißen Brautkleid und so.«
Diese Probleme wünsche ich mir, dachte Shay. »Genieße deine Hochzeit, und mach’ dir wegen deiner Mutter keine Sorgen, Ivy. Alles wird sich regeln.«
Als in diesem Moment Ivys Telefon klingelte, stahl Shay sich rasch davon. Am liebsten wäre sie jetzt zu Mitch gefahren. Aber sie beherrschte sich und schlug den Heimweg ein. Hank würde ja bald aufkreuzen. Oder könnte sie ihn noch an der Schule erwischen?
Erwartungsvoll stand Shay am Tor und musterte die herausdrängenden Kinder. Sicher würde Hank sich freuen, dass er nicht mit dem Bus fahren musste. Aber weit gefehlt.
Hank setzte eine finstere Miene auf und stieg widerwillig ins Auto ein, dabei vermied er es, seine Mutter anzusehen.
»Was ist los, Tiger?«, fragte Shay freundlich.
»Nichts.«
Shay hielt wieder an und fuhr ihm durchs Haar. »Du bist böse auf mich, stimmt’s?«
»Ja, bin ich. Du hast alles über deinen Dad erfahren. Aber mir willst du nichts über meinen Dad sagen.«
Shay erschrak, der Zorn in seiner Stimme traf sie tief: »Ich glaubte nicht, dass du dich schon dafür interessierst«, verteidigte sie sich wenig überzeugend.
»Doch«, erwiderte Hank trotzig. »Ich denke sehr viel darüber nach. Aber niemand will mir etwas sagen. Ist das fair, Mom?«
Shay schlug die Augen nieder. Eigentlich hatte er recht. Es war unfair, ihn über Eliott im Unklaren zu lassen.
War sie nicht auch mit Rosamond böse gewesen, weil sie nie über Robert Bretton sprach? »Wenn du willst, Hank, dann erzähle ich dir alles, was du wissen möchtest.«
Nach dem Abendessen holte Shay die wenigen Fotos von Eliott hervor, die sie noch besaß, und berichtete ihrem Sohn alles wahrheitsgemäß von damals. Obwohl sie so behutsam verfuhr wie möglich, tat ihr Herz weh, als sie den traurigen Ausdruck in Hanks Kindergesicht bemerkte.
Stumm hörte er zu, bis Shay schließlich geendet hatte. Dann griff er nach einem Schnappschuss von seinem Vater und ging damit in den kleinen Hintergarten. Dort setzte er sich trotz Kälte und Wind an den Picknicktisch und verarbeitete das, was er vernommen hatte.
Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick kam er nach einiger Zeit zurück in die Küche. »Ich werd’ jetzt baden«, sagte er nur.
»In Ordnung.« Shay schaute aus dem Fenster, um ihn nicht ansehen zu müssen. Draußen flatterten winzige Papierfetzen über die Fliesen. Hank hatte das Bild in kleine Stücke zerrissen.
Beim Frühstück am nächsten Morgen war Hank in besserer Laune. Dafür war Shay dankbar und ließ sich sogar von seiner Stimmung anstecken.
Sie summte eine Melodie, als sie ihr Büro betrat. Auf dem Herweg hatte Shay für ihr Empfangszimmer einen geflochtenen Adventskranz erstanden. Im Erker, zwischen den Fenstern zum Jachthafen, stand Clydesdale, und Shay hing das Tannengebinde über sein stolz
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