Tausendschön
nur ansatzweise gewesen war.
Seine Mutter, die ihm inzwischen fast schon als Kindermädchen für seine Söhne diente, hatte ihn mit unruhigem Blick verfolgt, als er spät von der Arbeit nach Hause gekommen war und nach Bier roch, weil er zum dritten Mal in Folge am Feierabend versackt war. Es war etwas mit ihm geschehen, das ihn weniger fürsorglich und dafür nachlässiger gemacht hatte. Es hatte angefangen, nachdem die Jungen auf die Welt gekommen waren und Ylva von ihrer verdammten postnatalen Depression heimgesucht worden war, die kein Ende zu nehmen schien. Und jetzt wirkte es so, als wäre er derjenige, der nicht wieder gesund werden konnte.
Direkt nachdem die Trennung beschlossen war, hatte er sich stark und verantwortungsbewusst gefühlt. Er war aus einer unerträglichen Lebenssituation aufgebrochen und hatte etwas Radikales unternommen, um sein Dasein zu verbessern.
Doch es war nur Mist dabei herausgekommen.
Er biss die Zähne zusammen, wie so oft. Wenigstens hatte er bei der Arbeit Dinge, über die er nachdenken konnte. Die ihn ablenkten.
Er ging erneut die Drohmails durch, die in den vergangenen drei Wochen auf dem E-Mail-Account von Jakob Ahlbin gelandet waren.
Scheinbar hatte alles damit angefangen, dass der Pfarrer sich in einen Konflikt eingemischt hatte, der ihn nach Meinung des Absenders nichts anging. Die Mails waren nur mit einem Kürzel unterzeichnet: SV . Diese Buchstaben fanden sich auch in der E-Mail-Adresse, von der die Drohmails stammten.
Peder runzelte die Stirn.
Las die Mails noch einmal.
Die erste war auf den 20. Januar datiert: » Scheißpfarrer, wir raten dir zurückzurudern, solange du noch kannst. SV .«
Zurückrudern? Was sollte das heißen?
Die nächste Mail war ein paar Tage später eingetroffen, am 24. Januar: » Wir meinen es ernst, zum Teufel. Halt dich aus unseren Kreisen fern, jetzt und endgültig. SV .«
SV schien irgendeine Gruppe zu sein, das hatte Peder inzwischen verstanden. Aber der Rest?
Auch die anderen Mails, die gekommen waren, luden nicht gerade dazu ein, den Zusammenhang zu verstehen. Peder konnte lediglich erkennen, dass der Tonfall sich verschärft hatte.
Am letzten Januartag war eine weitere Mail eingegangen: » Wenn dir unsere Freunde scheißegal sind, dann sind uns deine auch scheißegal. Dich erwartet ein verdammtes Inferno. Auge um Auge, verdammter Pfaffe! SV .«
Das war nicht sonderlich gut formuliert, aber die Botschaft war klar. Peder fragte sich, wie Jakob Ahlbin selbst darüber gedacht hatte. Soweit Peder feststellen konnte, hatte er zumindest keine Anzeige erstattet. Hatte er die Bedrohung nicht ernst genommen? Oder hatte er andere Gründe gehabt, der Polizei nichts von den E-Mails zu erzählen?
Die abschließenden beiden Nachrichten waren während Jakobs letzter Lebenstage gekommen. Am 20. Februar hatte jemand geschrieben: » Du solltest auf uns hören. Wenn du deine Aktivitäten nicht sofort einstellst, wird es dir wie Hiob ergehen.« Und schließlich am 22. Februar: » Vergiss nicht, was Hiob widerfuhr! Man kann immer noch bereuen und das Richtige tun. Hör auf zu suchen!«
Peder war ratlos. Aufhören zu suchen? Wonach denn? Hiob kam ihm bekannt vor, aber er konnte ihn nicht einordnen. Irgendetwas Biblisches.
Eine schnelle Suche im Internet bestätigte seine Ahnung. Offenbar war Hiob der Mann, den Gott mehr als jeden anderen geprüft hatte, um dem Teufel zu zeigen, wie weit er die Leute zu fordern vermochte, die rechtschaffen lebten.
Hiob hatte alles verloren, erkannte Peder missgelaunt. Aber er hatte überlebt.
Peder griff nach dem Telefon und rief die Technikabteilung an, um zu fragen, ob sie endlich herausbekommen hatten, wer die anonymen Mails geschickt hatte.
Es dauerte nicht länger als dreißig Minuten, aus Stockholm hinaus nach Ekerö zu fahren. Die Straßen waren frei für Alex und Joar, es war mitten am Tag, der Feierabendverkehr würde erst in ein paar Stunden einsetzen.
» Was glaubst du?«, fragte Joar abwartend.
» Ich glaube gar nichts«, sagte Alex entschieden. » Ich ziehe es vor zu wissen. Und in diesem Fall weiß ich zu wenig, um mich zu äußern. Unschön ist allerdings, dass Jakob Ahlbin, kurz bevor er starb, so heftige Drohungen bekam.«
Warum Alex das unschön fand, sagte er nicht. Aber das Problem war offensichtlich: Wenn sich herausstellte, dass Jakob nicht der Täter war, dann würde die bisherige Ermittlung sich als Irrweg erweisen. Die Techniker hatten die Wohnung durchkämmt, ohne auch nur den
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