Tausendschön
Bergman arbeitete konzentriert daran, Informationen über Jakob Ahlbins Engagement in Flüchtlingsfragen zusammenzustellen, was sich als eine zähe Aufgabe erwies. Auf viele der Dokumente konnte sie nicht elektronisch zugreifen, sondern musste dafür das Zeitungsarchiv der Bibliothek aufsuchen.
Jakob hatte anscheinend schon seit Jahrzehnten an dem Thema gearbeitet und dabei zeitweilig hitzige Diskussionen entfacht – vor allem bei einer Gelegenheit, als er in einem überaus heiklen Asylverfahren aktiv Stellung bezogen und der asylsuchenden Familie in der Kirche Zuflucht gewährt hatte, um ihre Abschiebung zu verhindern. » An dem Tag, da die Polizei mit gezogener Waffe die Schwelle meiner Kirche überschreitet, werde ich mein Heimatland verloren haben«, wurde er in einem der vielen Artikel zitiert, die damals über ihn geschrieben worden waren.
Die Familie hatte monatelang in der Kirche campiert, bis sie schließlich eine Aufenthaltsgenehmigung erhielt.
Eigentlich, dachte Fredrika, war Jakob Ahlbin nicht so sehr mit seinen Ansichten aufgefallen, sondern vielmehr durch seine Taten. Er hatte sich nicht damit zufriedengegeben, Artikel und Leserbriefe zu schreiben, sondern war in verschiedenen Städten für seine Sache auf die Straße gegangen. Er hatte sogar an öffentlichen Diskussionen teilgenommen, in denen er überzeugten Neonazis gegenübertreten musste. Im Grunde genommen war Jakob Ahlbin einer der wenigen gewesen, die es gewagt hatten, mit den fremdenfeindlichen Gruppierungen, die es im Land gab, in eine Debatte zu treten. Unbestätigten Informationen zufolge sollte er überdies zu einer Stockholmer Vereinigung gehört haben, die jungen Männern – und es waren fast ausschließlich junge Männer – half, aus ihren Netzwerken oder Gruppen auszusteigen. Passte das womöglich zu den E-Mails, in denen Jakob aufgefordert wurde, sich nicht in Dinge einzumischen, die ihn nichts angingen?
Sie druckte die wesentlichen Artikel aus. Peder würde sich freuen, wenn er sah, was sie ihm mitbrachte.
Direkt nach dem Mittagessen bekam sie einen Anruf von dem Rechtsmediziner, der die Obduktion des überfahrenen Mannes durchgeführt hatte. Sie hoffte inständig, er würde nicht allzu sehr ins Detail gehen, denn seit sie schwanger war, war sie immer empfindlicher gegenüber allzu deutlichen Berichten über physische Verletzungen geworden. Ich bin ein Schwächling, dachte sie, ohne doch richtig zu wissen, was sie dagegen tun konnte.
Dankenswerterweise fasste der Arzt sich kurz und benutzte erst einmal eine Reihe von Begriffen, die Fredrika nicht verstand. » Er starb«, fuhr er fort, » in direkter Folge starker äußerer Gewalt, die im Zusammenhang damit entstanden sein muss, dass er von einem Personenwagen angefahren wurde. Die Verletzungen lassen den Schluss zu, dass der Schlag sehr heftig war und dass der Mann mehrere Meter weit geschleudert wurde.«
» Ist er denn von vorn oder von hinten angefahren worden?«, fragte Fredrika dazwischen.
» Von vorn«, antwortete der Arzt. » Das kann aber auch bedeuten, dass er das Auto kommen hörte und sich umdrehte. Doch eine Sache wird Sie noch mehr interessieren: Er ist nicht nur an gefahren, sondern auch über fahren worden.«
Fredrika schwieg.
» Zunächst einmal hat er Verletzungen, die darauf hinweisen, wie er starb. Darüber hinaus aber hat er auch Verletzungen an Rücken, Bauch und Nacken, die nach seinem Tod eingetreten sein müssen – bloße Quetschungen. Ich weiß es natürlich nicht mit Sicherheit, aber es sieht danach aus, als sei der Täter ganz einfach noch mal rückwärts über ihn gefahren, während der Mann schon auf der Straße lag.«
Ein Anfall von Übelkeit breitete sich in ihrem Körper aus. Das waren genau die Dinge, die Fredrika nicht hören wollte. Sie holte tief Luft. » Das heißt im Klartext, dass es kein Unfall war?«
» Genau das meine ich«, antwortete der Arzt.
Mit einem Mal war Fredrika sehr angespannt. Verdammt, jetzt hatten sie noch einen Mordfall am Hals.
Alex und Joar waren am frühen Nachmittag wieder zurück im Präsidium. Zu Peders Ärger ging Joar direkt in sein Büro, ohne auch nur ein einziges Wort über den neuesten Stand der Dinge zu verlieren.
Resolut erhob er sich von seinem Schreibtischstuhl und ging ihm nach.
» Wie lief’s auf Ekerö?«, fragte er grußlos. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und versuchte, gelassen auszusehen.
» Gut«, antwortete Joar knapp, nachdem er Peder eine Weile stumm gemustert
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