Tausendundeine Stunde
auf die Uhr und erschrak. Wir sprachen zwei Stunden miteinander. An die Telefonrechnung mochte ich gar nicht denken.
„Ich glaube, wir sollten für heute Schluss machen. Sie müssen morgen bestimmt zeitig aufstehen. Es war ein sehr nettes Gespräch. Also, dann schlafen Sie gut.“
Obwohl ich mir eine Stunde zuvor geschworen hatte, so schnell keinen Alkohol mehr anzurühren, trank ich den Rest vom Sekt und schlief selig ein.
Am nächsten Tag traf ich Caroline, eine alte Schulfreundin, wieder. Fast hätte ich sie nicht erkannt. Caroline war immer pummlig und wurde deswegen ständig gehänselt. Wir fielen uns um den Hals.
„Schade, Caroline, dass ich jetzt so gar keine Zeit habe. Hier, ich gebe dir meine Telefonnummer. Ruf mich unbedingt an.“
Sie versprach, mich gleich am Abend anzurufen. Und sie hielt ihr Versprechen. Sie schluchzte am anderen Ende der Leitung herzzerreißend und glaubte, unsere Begegnung wäre vorherbestimmt gewesen. Denn sonst hätte sie gar nicht gewusst, an wen sie sich mit ihrem Kummer wenden solle, denn ihre Freundinnen seien alle nicht erreichbar.
„Männer sind Egoisten“, sagte sie und heulte nun so richtig los. „Ehe ich hier einen Hörsturz bekomme, setze ich mich lieber ins Auto und komme zu dir. Ist dir das recht?“
Zwanzig Minuten später saß ich auf dem Sofa neben ihr. Aus dem CD Player dudelte türkische Musik, die hin und wieder durch Carolines Schluchzer übertönt wurde. Ich hatte vorsorglich eine Flasche Spätburgunder mitgenommen. Wie es sich erwies, war das gut so.
Carolines Schränke beherbergten nur „Fühl-dich-Wohl-Tees“ von denen mir schlecht wurde. Nach dem dritten Glas Wein gewann sie ihre Fassung wieder. Zumindest heulte sie nicht mehr, sondern schimpfte nun kräftig. Ich ermutigte sie, ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen und riet ihr, die Sammeltassen ihrer Schwiegermutter auf dem Boden zu zerschmettern. Mir hätte das auch geholfen. Doch ihr Martin war Waise. Somit hatte sie keine Schwiegermutter und folglich auch keine Sammeltassen.
Allerdings würde Martin Porzellanfiguren sammeln.
„Gut, dann nimm die“, riet ich ihr. Caroline war selbst in dieser Situation klug berechnend. Schließlich stellte die Sammlung einen enormen Wert dar, wovon ihr nach der Scheidung die Hälfte gehören würde. Sie hatte mich überzeugt. „Wem gehört denn die CD?“, fragte ich kleinlaut.
„Das ist Martins Lieblings-CD.“ Nun heulte sie wieder los.
Ich riss die CD aus dem Player und reichte sie ihr: „Hier, bring sie um.“ Die Musik ging mir auf den Nerv.
„Nein, Juliane. Das ist doch kindisch. Das kommt in den besten Ehen mal vor. Ich werde ihn zurückgewinnen. Er kann doch nicht einfach zwanzig Jahre wegwerfen.“
„Und ob er das kann, liebste Caroline. Weißt du denn, wie lange es mit dieser Immobilienmaklerin schon geht?“
„Seit einem Jahr“, antwortete sie unter Tränen.
„So, und das nennst du nun Fehltritt? Ein Fehltritt ist für mich, wenn ein Mann einmal ausrutscht, vielleicht weil er besoffen war oder eben einen Samenstau hatte.“
„Juliane“, entrüstete sich Caroline.
Mir tat es um meine Flasche Spätburgunder leid, von der ich nicht kosten konnte, weil ich mit dem Auto da war.
Der Abend wäre vergnüglicher gewesen, wenn ich Wollinger angerufen hätte. Nun war es zu spät. Ich musste auf Toilette. Am Spiegel hing ein Post-it: „Ich bin okay“.
Na gut dachte ich, und was hilft ihr das? Ihr Martin sieht das wahrscheinlich anders. Vielleicht machte die Immobilienmaklerin besonders gute Steaks. Denn bei Caroline gab es nur Eisbergsalat, Magerquark und bestenfalls Thunfisch. Keinen Kaffee, selten Alkohol. Und statt Sex am Morgen gab es die fünf Tibeter.
Alte Energie-Riten tibetanischer Mönche. Dagegen war ja auch nichts einzuwenden, nach dem Sex.
Caroline hatte ein Faible für alles Esoterische. Hatte das ihr Martin auch? Vielleicht wollte er sich nicht nach dem Mondkalender die Fußnägel schneiden? Und Entscheidungen treffen, ohne sie zuvor auszupendeln. Vielleicht liebte er Chaos und keine Wohnung, die nach Feng shui ausgerichtet und steril war. Vielleicht. Aber vielleicht hatte er nur eine Midlifecrisis und kehrte irgendwann zu ihr zurück. Trotzdem: Caroline tat mir leid. Frauen solidarisieren sich. Ich drückte ihr ein Küsschen auf die Wange, verabschiedete mich und versprach, mich bald wieder zu melden.
Zwei Monate später drängelte sie mich, doch endlich mit zum Singletanz zu gehen.
„Muss es denn
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