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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
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intelligent zu sein. Ja, Sie sind eine kluge Frau.“
    „Ach ja? Ich bin nicht clever. Und was die Intelligenz anbelangt, so bin ich gegenwärtig dabei, das letzte bisschen zu ersäufen. Meistens mit Rotwein aus dem Pappkarton, zu mehr reicht es nicht.“
    „Das hört sich ja furchtbar an. Sie trinken Rotwein aus dem Pappkarton? Das passt nicht zu Ihnen.“
    „Ach, was wissen Sie, was zu mir passt? Und was Ihr Bild in Pastell anbelangt: meine Haare sind im Ansatz grau, ansonsten dunkelbraun. Ich habe einen dunklen Teint und blaugraue Augen. Meine Nase ist nicht schmal und fein geschwungen. Sie ist eher eine Stupsnase. Die Augen sind tatsächlich mandelförmig. Man sagt, ich hätte einen tänzelnden Gang. Ich liebe tatsächlich weich fließende Stoffe. Beim Anziehen bin ich der Jeanstyp. Ich bin Ende Vierzig, schon reichlich vom Leben gezeichnet und ich habe Hunger nach Leben. Diesem vollen prallen Leben, an dem ich vergaß, teilzunehmen. Sie können jetzt auflegen. Ich nehme es Ihnen nicht übel.“
    „Warum sind Sie so scharfzüngig? Ich bin einundfünfzig. Gott schon einundfünfzig. Und auch ich sehne mich nach dem Leben. Manchmal denke ich, es herrscht Friedhof zwischen meinen Beinen.“
    „Nett ausgedrückt. Friedhof zwischen den Beinen. Bei mir bilden sich auch schon Spinnweben.“
    „Kann man da etwas dagegen tun?“
    „Ich denke schon.“
    „Warten Sie, ich lege eine andere Musik auf.“
    „Ja, und ich hole mir rasch ein Glas Wasser.“
    „Können Sie die Musik hören?“ Ohne meine Antwort abzuwarten fragte er: „Wo haben Sie Ihre Hand?“
    „Am Telefonhörer.“
    „Und die andere?“
    „Mit der anderen halte ich meine Zigarette.“
     
    Ich wusste worauf er hinaus wollte, und ging frontal auf ihn los: „Ich habe Sie angerufen, weil ich mich nur nett unterhalten wollte. Weil ich mich gottverlassen fühlte, und weil ich dachte, dass Sie ein Mann sind, mit dem man angeregt plaudern kann. Und wenn ich der Meinung bin, ich möchte die Hand in meinen Slip stecken, dann tue ich das auch ohne Ihre Aufforderung.“ Die Luft war raus.
    „Sie haben ja richtig Temperament. Grollen Sie nicht länger, Juliane. Fassen Sie es als Kompliment auf. Ihre Stimme klingt verführerisch, da kommt man auf solche Gedanken. Ich habe meine Hand jetzt ganz artig auf dem Tisch liegen.“
    „Und dort bleibt Sie auch, versprochen?“, hauchte ich nun in den Hörer. Es machte mir Spaß, ihn zu provozieren. Jetzt schwiegen wir beide und lauschten der Musik.
    Er unterbrach die Stille. „Es ist schön, jemanden atmen zu hören. Ich vermisse es oft. Warten Sie, ich lege meine neueste CD ein. Das meiste Geld gebe ich für CDs, Bilder und Bücher aus. Können Sie es hören? Toll oder?“
    Ich bekam von der Musik Gänsehaut. Komischerweise wurde ich immer nüchterner. Ich genoss die Momente mit diesem fremden Menschen am Telefon. fühlte mich nicht mehr allein.
    Wir schwiegen wieder.
    Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie er aussehen könnte. „Sie sind groß und schlank. Ich denke so Einmeterachtzig. Sie haben kurze silbergraue Haare, hellblaue Augen, scharfe, markante Gesichtszüge. Sie tragen keine Jeans, sondern weitgeschnittene dunkle Stoffhosen, die an der Hüfte und im Gesäß eng anliegen. Sie tragen edle T-Shirts und ein saloppes Jackett, haben gepflegte Hände und Nägel. Sie machen einen Bürojob. Sie sind Grafiker oder Designer, vielleicht auch Programmierer. Nein, Programmierer sind Sie nicht. Sie lieben leichte, spritzige Weine und vermutlich bevorzugen Sie die mediterrane Küche. Sie lieben bestimmt Gedichte und Sie lieben die Frauen.“
    „Interessant. Also, legen Sie bei der Größe zehn Zentimeter drauf, die Haare sind kurz geschnitten, aber noch sind sie pechschwarz. Gut, die Schläfen sind leicht silberfarben. Ich trage einen Dreitagesbart, eine Brille und ich habe dunkelbraune Augen. Die Kleidung wäre bei meinem Job ungeeignet. Bei dem Wort Programmierer stellten sich bei mir die Nackenhaare hoch. Ich habe mit diesen Computern gar nichts im Sinn, mit Technik stehe ich auf Kriegsfuß. Ich habe mich lange und standhaft gegen diese Handys gewährt. Nun ließ sich das nicht mehr umgehen. Ich bin Architekt, leider habe ich schon lange nicht mehr am Reißbrett gestanden. Stattdessen reise ich von Baustelle zu Baustelle und überprüfe das Baugeschehen. Das ist ziemlich unspektakulär. Ich trinke am liebsten Bier, schließlich lebe ich in Bayern. Außerdem bevorzuge ich deftige Hausmannskost.“
    Ich sah

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