Tausendundeine Stunde
die Schlafzimmertür gepinkelt. Ich nahm es als berechtigte Kritik auf und bestrafte ihn nicht. Dann rief ich Doris an und erzählte ihr das mit den Klößen. Sie hatte ganz andere Sorgen.
„Stell dir nur vor, er hat zu Hause eine schwangere Frau und der erzählt er, dass er zur Nachtschicht geht, wenn er bei mir ist.“
Nach dieser sachlichen Mitteilung folgte ein unbändiger emotionaler Ausbruch. Sie belegte Henryk mit derben Flüchen. Die waren so heftig, dass mir innerhalb kürzester Zeit die Ohren glühten. Gegen diese Mitteilung waren die Klöße von Leons Mutter nun wirklich eine Lappalie.
Nachdem sich Doris beruhigt hatte, erzählte ich ihr von Carolines Missgeschick und schlug vor, dass ich die Mädels zu einer Krisensitzung zusammen rufe. Am darauffolgenden Samstag trafen wir uns bei Doris. Meine drei Freundinnen litten an Weltschmerz, denn auch Nele lag nach einer gescheiterten Beziehung am Boden. Allein ich lebte in einer Art Doppelbeziehung, vermied es jedoch, darüber zu reden. Ja, fast fühlte ich mich schuldig und zog in Erwägung zumindest Leon den Laufpass zu geben. Sozusagen als solidarische Geste gegenüber meinen Freundinnen. Nachdem sich jede von uns ausgejammert hatte, beschlossen wir, den restlichen Abend nicht in Trübsal zu verfallen.
Nele inspizierte die Hausbar von Doris, schnappte sich einige Flaschen und verschwand damit in die Küche. Kurze Zeit später stellte sie die Gläser mit hochprozentigem Inhalt auf den Couchtisch und hob ihr Glas in die Höhe: „Prost Mädels, auf uns.“
Zwei Glas später kam Caroline auf die Idee, dass wir eine Annonce schalten könnten. Und weil sie leicht beschwipst war, bestand sie darauf, dass wir uns als Quartett präsentieren. Sie ließ sich von Doris Papier und Stift geben und schrieb nun fleißig los. Wenige Minuten später unterbreitete sie uns das Ergebnis: „Weibliches Quartett (unzertrennlich, unwiderstehlich, sexy, unternehmungslustig und experimentierfreudig) sucht männliches Pendant. Habt Mut Männer, meldet euch. Nur Viererpack erwünscht.“ Nele verschluckte sich vor Lachen, ich teilte mit, dass ich mich da raushalte und Doris fand es schlichtweg blöd.
„Ich weiß nicht, das klingt ja, als ob wir einen Swingerclub eröffnen wollten. Außerdem hatte ich vor längerer Zeit eine Annonce aufgegeben. Ich schwöre euch, das tue ich nie wieder.“ Doris lief in ihr Arbeitszimmer und kam mit einigen Briefen zurück.
„Da“, sagte sie „das sind Antworten auf meine Anzeige.
Nele, mix uns deinen Spezialdrink, denn das hier kann man nüchtern nicht verkraften.“
Sie wedelte die Briefe durch die Luft, trank den letzten Schluck des Gemisches aus O-Saft, Rum, Sekt und Curacao und reichte Nele ihr leeres Glas. Danach breitete sie die Briefe auf dem Fußboden aus. Nele kam mit den Drinks zurück: „Prosit, auf unsere Freundschaft.“
Doris drängelte ungeduldig: „Schnappt euch ein Kissen und kommt zu mir auf den Teppich. Wer fängt an?“
„Der hier“, sagte ich „sieht von außen ganz nett aus.“ Ich faltete das Schriftstück auseinander, aber schon nach den ersten Zeilen kam ich zu der Erkenntnis, dass dieser Mann als Partner für unsere Freundin nicht in Frage kam.
„Dieser Mensch schreibt, dass er ein Mann in den besten Jahren ist. Somit ist klar, dass er die guten schon längst hinter sich gelassen hat.“
Nele griff sich den nächsten Brief und fing zu lesen an: „Liebe unbekannte Schöne!“
„Warte mal, warte mal“, unterbrach Caroline. „Hast du deine Annonce mit Foto versehen? Oder wieso schreibt der unbekannte Schöne?“
„Genau das habe ich mich auch gefragt. Aber es kommt noch schlimmer. Lies weiter Nele.“
Sie las weiter: „Ja, Sie müssen schön wie eine Blume im Morgentau sein, bei einer so fantasievollen Annonce bleibt nur diese Schlussfolgerung. Auch ich sehne mich nach Anlehnung und Wärme, verzehre mich nach schöngeistigen Gesprächen im angenehmen Ambiente bei einem guten Glas Wein. Denn, was gibt es schöneres, als im völligen Einklang mit einer geliebten Frau, Gedanken auszutauschen?“
Doris fuchtelte wild mit den Armen, was so viel hieß, dass Nele eine Pause machen sollte. Dann sah sie erwartungsvoll in die Runde. Weil keine von uns etwas sagte, sprach sie: „Ich glaube, das ist ein Gernredner, der zu blöd ist, einen Nagel in die Wand zu hauen. Seid ehrlich, hättet ihr Lust auf Gespräche über Goethe? Wenn der schon fragt, was es schöneres gibt, als Gedanken auszutauschen, dann
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