Tausendundeine Stunde
das Wasser im Mund zusammen. Dabei blieb es auch, denn ich schaffte es nicht, das Glas zu öffnen. Selbst der Trick mit dem kurzen Schlag auf eine Tischkante versagte. Langsam geriet ich in Rage. Und als ich mich so richtig aufgespult hatte, klingelte das Telefon. Es war Dietrich. „Hallo, Juliane, ich hatte versucht, dich gestern zu erreichen. Geht es dir gut?“
„Ach, hallo Dietrich. Hm, ich stelle gerade fest, dass so ein Mann im Haushalt unverzichtbar ist. Ich habe Appetit auf Rollmops, allerdings kann ich das Glas nicht öffnen. Davon abgesehen, dass ich schwer verkatert bin, an chronischem Geldmangel leide und kurz vor einem Tobsuchtsanfall stehe, geht es gut.“
Nun versorgte mich Dietrich mit guten Tipps, wie ich mein Glas öffnen könnte und fragte, ob sein Brief schon angekommen wäre. Ich hatte den Tag zuvor gar nicht in den Briefkasten geschaut und versprach, nachzusehen. Auf dem Weg zum Briefkasten klingelte ich bei meinem Nachbarn und bat ihn, das Glas zu öffnen. Das tat er auch bereitwillig, allerdings zu dem Preis, dass ich mir seine Leidensgeschichte wegen seiner Hämorriden anhören musste.
Dietrich hatte mir eine CD geschickt und ein Foto von sich.
Ich hielt es lange in der Hand. Seltsam, irgendetwas an diesem Foto behagte mir nicht. Ich schob es auf meinen gegenwärtigen Zustand und legte mir die CD ein.
Dann rief ich Dietrich an.
„So, nun hast du also ein Gesicht für mich. Kein uninteressantes. Für die CD bedanke ich mich. Aber ich habe doch gar nicht Geburtstag.“
„Gefällt sie dir? Ich liebe sie und wollte dich teilhaben lassen. Man muss doch keinen besonderen Tag abwarten, um einer Frau eine Freude zu bereiten. Ich schenke gern.“
„Komisch, ich auch. Weißt du, was ich immer putzig finde?“ Dietrich unterbrach mich: „Wiederhole das doch noch einmal.“
„Was soll ich wiederholen?“
„Dieses putzig. Das klang so nett. Putzig. Bestimmt spitzt du dabei deine Lippen. Ach, deine Lippen, wie gern würde ich diese jetzt auf den meinen spüren.“
Aha, dachte ich, darauf will er wieder hinaus. Aber ich ließ mich nicht beirren. „Also, ich finde es immer sehr amüsant, wenn Leute irgendwo hin eingeladen sind und ein Geschenk dafür mitbringen müssen. Die meisten schenken immer im Verhältnis eins zu eins. Wenn ich für fünfzehn Mark etwas schenke, möchte ich mir im gleichen Wert meinen Magen voll hauen.“
„Ja das ist put-zig. Komm, Kleines, wiederhole es noch einmal für mich.“ Er ließ nicht locker. Ich hörte, wie er sich eine Flasche Bier öffnete.
„Putzig. Gestern war ich mit meinen Freundinnen zusammen. Das war ein richtig netter Abend. Da haben wir uns zum Beispiel darüber unterhalten, dass manche Männer fantasielose Geschenke machen. Eine Eierguillotine zum Beispiel.“
Dietrich verschluckte sich am anderen Ende der Leitung und hustete nun unterbrochen.
„Siehst du, Mann und Frau gehören zusammen. Ich könnte dir jetzt zum Beispiel auf den Rücken klopfen und du hättest mir das Rollmopsglas öffnen können. Überhaupt wäre vieles einfacher und schöner. Alles wäre viel netter. Ich habe mir schon oft in letzter Zeit vorgestellt, wie das mit uns wäre. Ich sehe uns auf einer Terrasse, wie wir nebeneinander auf Liegestühlen liegen. Jeder liest ein Buch und wir halten uns dabei die Hand. Ich würde dir Passagen aus meinem Buch vorlesen und du mir aus deinem. Dabei würden wir unsere Musik hören und ein gutes Glas Wein trinken. Und wir könnten zusammen kochen. Am Abend, nach der Arbeit, würden wir die Tagesgeschehnisse austauschen. Wir könnten gemeinsam fernsehen und uns über den Film unterhalten.“
Dietrich unterbrach mich: „Ich habe keinen Fernseher.“
„Das macht nichts“, plapperte ich weiter: „Ich habe einen, den bringe ich mit.“
„Oh Juliane, bei mir hat es geklingelt. Ich rufe dich zurück.“
„Ja“, gluckste ich selig und betrachtete dabei sein Foto. Eigentlich war er nicht mein Typ. Ich hatte mir von ihm eine andere Vorstellung gemacht. Aber Fotos sind Momentaufnahmen. Sie vermitteln nur eine kleine Ahnung von dem wirklichen Menschen. Vielmehr ist es die Gestik und die Mimik, die den Menschen erst interessant machen. Die Art wie er lacht oder weint oder nachdenkt. Wie wird er beim Liebe machen aussehen? Dietrich hielt sein Versprechen und rief zurück.
„Da bin ich wieder, es war meine Nachbarin, die meine Hilfe brauchte.“
„Musstest du ihr auch ein Glas öffnen oder hat der Reißverschluss vom Kleid
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