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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
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sind wir uns ja bereits in einem früheren Leben begegnet.“
    „Sie glauben an Reinkarnation?“, fragte er höchst erstaunt.
    „Nicht wirklich. Sie?“
    Er machte eine kurze Pause und sagte: „Ich glaube an Gott.“ „Hat denn Gott nichts dagegen, wenn Sie auf einer Sex-Line anrufen? Ist das nicht etwas Lasterhaftes? Und wie viele Ave Maria müssen Sie danach beten?“
    „Hu, Sie sind ganz schön scharfzüngig. Ja, ich hätte Sie auch lieber unter anderen Umständen kennen gelernt.“
    „Sie hätten Politiker werden können. Denn im Grunde genommen haben Sie mir eine Antwort gegeben, ohne meine Frage zu beantworten. Gehen Sie zur Beichte? Wenn ja, macht Sie das dann frei?“ Ich ließ ihm gar keine Gelegenheit zu einer Antwort und plapperte munter weiter: „Sie wollten doch immer schon wissen, warum ich Saxophon so liebe. Wahrscheinlich hat meine Tante den Grundstein dafür gelegt. Sie war tief gläubig. Sie war sogar Novizin und arbeitete in einem katholischen Krankenhaus. Mein Onkel war Maler und arbeitete in diesem Krankenhaus. Irgendwie war es Liebe auf den ersten Blick. Na, jedenfalls beschloss meine Tante sich dann doch, lieber mit meinem Onkel und nicht mit Jesus zu verloben. Natürlich heirateten sie dann auch. Im Laufe der Zeit bekam sie sechs Kinder, das letzte mit Ende vierzig. Ich verbrachte immer meine Ferien zuerst bei meinen Großeltern und danach bei meiner Tante und ich erinnere mich so gern daran zurück. Warten Sie, ich lege eine CD ein. Das Saxophonsolo wird Sie begeistern.“ Ich legte die CD ein und zündete mir eine Zigarette an. „Sind Sie noch dran?“
    Dietrich bejahte und forderte mich auf, weiter zu erzählen. „Wenn ich Saxophon höre, denke ich immer an meine Tante. Sie ist viel zu früh gestorben, mein Gott, was habe ich sie geliebt. Ich bin Atheistin und sie war tief religiös und trotzdem gab es deshalb zwischen uns nie Differenzen. Wissen Sie, sie war Christin mit ganzen Herzen. Nie hörte ich sie klagen, bei allem was sie tat, sang sie, sie hatte eine wahrhaft schöne Stimme. Sie war eine so warmherzige und schöne Frau. Meine Tante und mein Onkel waren Barmusiker. Ich sehe sie jetzt  förmlich vor mir. Tagsüber in der Kittelschürze, ständig am Arbeiten und ab neunzehn Uhr vollzog sich Abend für Abend das gleiche Ritual. Nach dem Essen ging sie in die Badewanne und richtete sich danach für ihren Auftritt her. Da stand sie dann in Glamour, ihr langes dunkles Haar zusammengesteckt, die vollen Lippen betont, große sanfte Augen, nahm ihr Saxophon und spielte nur für mich einige ihrer Lieblingssongs an. Sie war so voller Leben, kraftvoll und vor allem gütig. Ich vermisse sie und immer, wenn ich Saxophon höre, pocht mein Herz wie wild in liebevoller Erinnerung an meine Tante.“
    Dietrich hatte mich während der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal unterbrochen. Ich hörte ihn nur atmen, langsam und gleichmäßig und das war ein schönes Gefühl.
    „Dietrich“, flüsterte ich in den Telefonhörer. Er war eingeschlafen und nun wieder aufgewacht.
    „Es war ein anstrengender Tag für mich, Entschuldigung. Ich habe mir bei Ihrer Erzählung vorgestellt, wie schön es gewesen wäre, wenn Sie in meinem Arm gelegen hätten. Ich habe schon lange keine Frau mehr in meinem Arm gehalten. Juliane, ich rufe Sie heute Abend an, ich muss in vier Stunden wieder aufstehen und nach Wiesbaden fahren. Schlafen Sie gut.“
    So hatte der Tag doch noch ein gutes Ende gehabt. Im Bett stellte ich mir vor, wie er wohl aussehen würde. Die gröbsten Details wusste ich. Ich machte mir Gedanken darüber, wie er wohl küsst und ob er zärtlich wäre. Dann fiel mir ein, dass ich am Abend ja gar nicht zu Hause sein würde. Das war wohl ganz gut so, denn nach Doris ihrer Theorie sollte man ja nicht immer präsent für einen Mann sein, der Absichten hegt. Hatte er Absichten? Wenn ja, welcher Art waren sie? Er hielt schon lange keine Frau mehr in seinem Arm. Sprach das nun für oder gegen ihn? Immerhin: Er hatte sich gewünscht, dass ich in seinem Arm gelegen hätte. Ich vermisste es auch. Ich stand noch einmal auf und schnappte mir Whisky, den ich nun wie ein Baby in meinen Arm nahm und streichelte. Leider ließ er sich dies nur fünf Minuten über sich ergehen. Whisky war ein schlechter Ersatzliebhaber. Ich wollte ihm die Leckerli kürzen.
    Leon war am nächsten Tag pünktlich zur Stelle. Er wirkte ein bisschen schüchtern. Aber er war sehr aufmerksam. Wann hatte mir ein Mann das letzte Mal aus dem

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