Tausendundeine Stunde
geklemmt?“
„Weder noch. Und wenn bei ihr der Reißverschluss geklemmt hätte, dann wäre ich der Letzte gewesen, der ihn geschlossen hätte.“ Er lachte.
„Du meinst, du hättest ihr gleich ganz aus dem Kleid geholfen?“
„Gott bewahre. Die Frau ist unästhetisch fett. Es laufen so viele fette Frauen herum. Phuuu.“
Ich hörte förmlich, wie er sich am anderen Ende schüttelte.
„Du denkst oberflächlich. Das enttäuscht mich. Vielleicht hat sie eine Stoffwechselerkrankung und kann gar nichts dafür.“
„Bei ihr sind es die Brezen, das Hefeweizen und die Schweinshaxen, da kannst du ganz sicher sein. Die Frau ist immerzu am Essen. Ich begreife nicht, wie man sich so gehen lassen kann.“ Er entrüstete sich jetzt förmlich.
„Hör mal, Dietrich, ehe du dich noch weiter aufspulst: Wieso hast du eigentlich keinen Fernseher. Aus Prinzip nicht? Du bist wohl so ein verkappter Don Quichotte, der gegen den Konsumterror antritt? Dann wäre es wohl besser, du schließt dich irgend so einer feministisch-astrologischen Gruppe an und reitest auf einem Maultier durch die Wüste und bleibst dort. Allerdings würde ich deine Anrufe vermissen.“
Dietrich lachte am anderen Ende. „Ja, teile ruhig aus. Ich habe den Fernseher bei meiner Frau gelassen und ich vermisse ihn nicht. Wenn ich fernsehen will, dann gehe ich zu Freunden.“
„Mir ist aufgefallen, dass du immer von deiner „Frau“ und nicht von deiner „Exfrau“ sprichst. Du bist wohl noch nicht lange geschieden? Mir fiel auch auf, dass du nie etwas Hässliches über sie sagst.
Hast du sie verlassen oder sie dich?“
Dietrich überlegte: „Für mich ist sie irgendwie immer noch meine Frau. Obwohl wir schon lange getrennt sind. Wahrscheinlich waren wir uns auch nie wirklich nah. Wir waren sehr jung, als unsere Tochter kam. Meine Frau hatte eigentlich nie ein eigenes Leben. Sie ist direkt von zu Hause weg in ein neues Zuhause. Sie konnte sich nicht ausprobieren.“
„Ich finde es schön, dass du nicht schlecht von ihr sprichst. Mein Exmann hat kein gutes Haar an mir gelassen. Und ich an ihm auch nicht. Überhaupt finde ich, dass das Leben in der heutigen Zeit irgendwie gefroren ist. Alles ist zur Ware geworden, auch wir. Alles ist käuflich: Schönheit, Gesundheit, soziale Anerkennung und das Wort Tabu verschwindet allmählich aus unserem Sprachgebrauch. Über alles wird mit jedem gesprochen und sozusagen öffentlich gemacht. Da bekommt man täglich in der Werbung mit, dass wir Frauen leider im Alter etwas tröpfeln und deshalb brauchen wir Tena Lady. Von den sagenhaften Tampons, die alles mitmachen ganz zu schweigen.
Die hüpfen völlig verselbständigt über den Bildschirm, sodass man angewidert den Teller Spaghetti mit Tomatensoße zur Seite schiebt. Überhaupt Werbung: Ständig wird uns Frauen suggeriert, dass wir ohne die angepriesenen Produkte minderwertig sind. Superschlank müssen wir sein, pickelfrei und ohne Orangenhaut. Wir zeigen unsere strahlend weißen Beißerchen, kein Fältchen verunstaltet unser Gesicht, die Haare glänzen. Uns wird klar, dass wir meilenweit von diesen Schönheitsidealen entfernt sind und das frustriert. Mehr noch, es untergräbt unser Selbstwertgefühl. Wann kommen Produkte auf den Markt, die uns Frauen die Gehirnzellen reinigen, damit wir erkennen, dass wir nicht mehr länger funktionieren wollen?“
Dietrich hüstelte, ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Oder nimm diese Talkshows. Am meisten ärgert es mich, dass sie oft die letzten Penner aus dem Osten präsentieren, die natürlich den fürchterlichsten Dialekt sprechen und meistens fehlen ihnen die Schneidezähne. Das macht mich richtig wütend. Auch das schöne Wort „Respekt“ verschwindet langsam aus unserem Sprachgebrauch.“ Ich machte eine Pause, hoffte Dietrich würde mit mir über das Gesagte diskutieren.
Aber mehr als: „Du bist eine wirklich kluge Frau“, hatte er nicht zu sagen. Sofort ging er zur Tagesordnung über.
„Hörst du meine Musik im Hintergrund? Ich mache lauter, ja? Was hast du an?“
„Du hast Recht, ich bin eine kluge Frau und deshalb erzähle ich dir jetzt, dass ich eine blaue Jogginghose trage und ein ziemlich ausgewaschenes T-Shirt, das mir drei Nummern zu groß, aber bequem ist. Um dich auf andere Gedanken zu bringen möchte ich dich fragen, ob du dich nicht einmal in deiner Tagespresse wegen Stellenangeboten informieren kannst. Ich bin eine Allroundfrau. Ich arbeite mich schnell in neue Aufgabengebiete ein. Würdest
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