Tausendundeine Stunde
du das tun, Dietrich?“
Dietrich schwieg.
„Warum antwortest du nicht“, fragte ich zaghaft.
Er räusperte sich: „Weißt du, Juliane, das habe ich schon einmal für eine Frau getan. Für Veronika. Sie kam übrigens auch aus dem Ostteil Deutschlands. Sie war mit einem Pathologen verheiratet und lebte getrennt von ihm. Wir haben uns in Berlin kennengelernt. Wir hatten dort beide dienstlich zu tun. Wie soll ich es dir beschreiben? Wir sahen uns und etwas ganz Unbeschreibliches, ja fast Magisches ist mit uns geschehen. Schon mit dem ersten Handschlag war für uns klar, dass wir uns auf nicht zu erklärende Weise anzogen. Seit jenem Tag telefonierten wir täglich miteinander. Nach einem halben Jahr zog sie nach Nürnberg. Ich hatte ihr eine Arbeit und eine Wohnung besorgt. Nach wenigen Monaten bereute sie diesen Schritt und machte mir Vorwürfe. Ich habe sie verloren und darunter leide ich bis heute sehr. Sie war mir sehr wichtig geworden. Hin und wieder telefonieren wir miteinander und ab und zu treffen wir uns und gehen essen. Veronika ist eine außergewöhnliche Frau. Ich habe noch nie zuvor und nie danach eine so erotische Frau kennengelernt. Alles an ihr hat Stil. Ihr Gang, ihre Kleidung, ihr Augenaufschlag. Für sie gibt es keine Tabus. Sie hat einen so wohlgeformten Popo. Wir liebten es, uns beim Sex zu filmen. Nur zu unserer Erbauung.“
Dietrich seufzte aus tiefster Brust. Er ließ keinen Kommentar meinerseits zu.
„Diese Filme hat mein Sohn in die Finger bekommen und seiner Mutter davon erzählt. Deshalb gab es auch diesen Aufruhr mit der Jugendhilfe.“
„Oh“, mehr konnte ich dazu zunächst nicht sagen. Doch dann fand ich meine Fassung für kurze Zeit wieder. „Ist dir eigentlich aufgefallen, dass du von ihr in der Gegenwart sprichst? Alles an ihr hat Stil und nicht hatte, zum Beispiel.“ Ich schwieg.
Er auch.
Ich hörte ihn atmen. Ich ging frontal auf ihn los: „Du hast dir eine Ikone mit wohlgeformten Popo geschaffen, dagegen kann ich mit meinem Händchenhalten beim Bücherlesen natürlich nicht ankommen. Vielleicht hat deine Veronika die netten Streifchen ins Internet gestellt und ihr Mann hat sie sich angesehen. Möglicherweise fing er an, sich erneut für Veronikas Körperöffnungen zu interessieren. Als Pathologe ist er schließlich Fachmann dafür.“
Dietrich hatte es die Sprache verschlagen.
„Bist du noch dran? Entschuldigung, bisher hielt ich dich für den sensibelsten Mann, den ich je kennengelernt habe. Hast du denn gar nicht bemerkt, was ich für dich empfinde? Warum tust du mir so etwas an?“ Meine Stimme überschlug sich.
„Aber wir kennen uns doch noch gar nicht. Jedenfalls nicht persönlich. Ich weiß ja noch nicht einmal, wie du aussiehst. Ja, ich rede gern mit dir und ich weiß, dass du eine kluge und sensible Frau bist, aber das reicht nicht aus, um irgendwelche Gefühle zu entwickeln. Ich verstehe ehrlich gesagt deine Reaktion nicht.“
„Hör mal zu, du ...“, ich verkniff mir den Rest. „Immerhin haben wir bei fast jedem Telefonat miteinander masturbiert. Na, jedenfalls du. Ich schicke dir demnächst eine Rechnung. Tschüss.“
Ich war furchtbar aufgebracht, wollte mich darüber mit meinen Freundinnen unterhalten. Aber die waren nicht für mich da. Ich saß mit verschränkten Armen und verbissenem Gesicht auf meinem Sofa und überlegte, wie ich es dem Kerl heimzahlen könnte.
Das Telefon klingelte. Ich hatte keine Lust ranzugehen.
Der Anrufbeantworter sprang an: „Hi, hier ist Leon. Juliane, ich habe lange hin und her überlegt, aber ...“
Ich schaltete mich ein: „Du glaubst, dass es besser ist, wenn wir unsere Beziehung beenden. Ich glaube das auch Leon. Zumal wir ja gar keine richtige Beziehung hatten. Lass uns bitte nicht stur aneinander vorbeilaufen, wenn wir uns begegnen. Du bist ein netter Junge. Du hast mir gut getan und dafür danke ich dir. Dein durchtrainierter Body wird mir fehlen.“
Ich klickte ihn einfach weg, somit hatte ich das Gefühl, dass nicht er mir, sondern ich ihm die Freundschaft gekündigt hatte.
Für diesen Tag hatte ich genug von Männern. Ich kramte mir meine Lieblings-DVD hervor: „Schlaflos in Seattle“ und nachdem ich, wie immer am Ende des Filmes, vor Rührung geweint hatte, schlief ich ein. Allerdings nicht so relaxt wie sonst. In diesem Film sprachen sie auch von „Magie“ und schon fiel mir wieder Wollinger ein. Der sprach ja auch von einer magischen Anziehungskraft. Die beschränkte sich jedoch auf den
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