Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
Vom Netzwerk:
doch immer diese Nicaragua-Schichten fahren. Machst du da etwa mit? Gibst du da echt deine ganzen Einnahmen ab?«
    »Ja, klar«, sagte Tossi. »Manchmal fahr ich auch eine Solidaritätsschicht für Nicaragua.«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Und wenn du in so einer Nacht eine Fernfahrt nach – sagen wir mal nach – Kassel bekämst? Würdest du da auch das ganze Geld abgeben?«
    »Weiß nicht. Vielleicht. Vielleicht würde ich auch einen Teil einfach einstecken. Schwer zu sagen.«
    Dann zeigte Tossi auf seine Fahrertür und machte ein gequältes Gesicht.
    »Wie findest du das?«
    Auf der Tür klebte das Bild eines riesigen, fetten Comic-Bären, der ein gelbes T-Shirt trug und für einen Freizeitpark Reklame machte. Auf dem T-Shirt des Bären stand WUMBO.
    »Damit fahr ich nicht, hab ich zu meinem Chef gesagt. Und weißt du, was der darauf geantwortet hat? … Das ist doch lustig . Das ist doch lustig. Ist das zu fassen?«
    »Kuck dir meine Taxe an«, ich wies mit dem Kinn hinter mich. Auf meiner Fahrertür stand JAWOLL MEINE HERR‘N, SO HABEN SIE ES GERN. SAUNACLUB RELAX.
    »Ja, aber WUMBO ist doch viel schlimmer«, rief Tossi und hielt gleichzeitig einer Frau die hintere Tür auf. Er winkte mir zu. Dann stand ich ganz allein vor Karstadt, die Sonne kachelte auf mich herunter. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ein leerer Bus fuhr langsam die Mönkebergstraße hoch.
4
    Ich parkte mein Fahrrad im dunklen Hinterhof. Der Vorderreifen war platt. Das letzte Stück hatte ich schieben müssen. Es war abends um elf. Seit es kälter geworden war, verdiente ich wieder besser. Außerdem lief gerade die Bootsmesse, und gestern war das internationale Schiffsmaklertreffen gewesen. Die ganze Stadt war voller Reeder und Schiffsmakler, und vor den Zimmern des Funny Clubs wurde immer noch Schlange gestanden. Das Mädchen, das ich nach Hause gefahren hatte, war fix und fertig gewesen, hatte aber beste Laune gehabt und mir zwanzig Mark Trinkgeld gegeben.
    Ich beugte mich über den platten Reifen. Plötzlich stand Jens Majewski neben mir. Der Nachbar mit den vielen Freundinnen. Diesmal war er allein.
    »He«, sagte Majewski, »du trägst ja eine Brille. Ich wusste gar nicht, dass du eine hast. Steht dir klasse.«
    Bestürzt grabschte ich nach meiner Brille, die sowieso schon voller fettiger Fingerabdrücke war. Kontaktlinsen konnte ich ja kaum noch tragen. Auf Grund meiner fortschreitenden Depressionen hatte sich mein Lidschlag auf einmal pro fünf Minuten reduziert, so dass Kontaktlinsen regelmäßig an meiner Hornhaut festtrockneten und ich sie schließlich wie Heftpflaster herunterreißen musste.
    »Sieht echt wahnsinnig gut aus«, setzte Majewski nach.
    Ich strich mir die fettigen Haare aus der Stirn und klammerte mich an meiner Taxi-Tasche fest. War der blind? Nicht nur die schmierige Brille – ich sah überhaupt verwahrlost aus. In letzter Zeit ließ ich mich ziemlich gehen. Wechselte kaum noch meine Kleider und wusch mich nur noch selten. Manchmal drei Tage lang nicht. Haare sowieso nicht. Sich zu waschen war eine Tätigkeit, die mich allzu schmerzlich in einen Zustand bewusster Wachheit katapultierte.
    »Echt, steht dir gut.«
    Er hörte einfach nicht auf.
    »Ich muss dann mal …«, sagte ich.
    »Ich auch. Ciao, man sieht sich.«
    Ich baute das Vorderrad aus und nahm es mit. In meinem Briefkasten lag ein Umschlag. Das konnte ich durch das kleine Fenster sehen. Kaum zu fassen. Ich angelte ihn mit den Fingern heraus. Den Briefkastenschlüssel hatte ich längst verloren. Normalerweise bekam ich ja keine Post, nicht einmal Werbebriefe. Ich dachte sofort an Marco. Aber bevor ich auf den Absender schauen konnte, kam Dietrich die Treppe herunter, und ich steckte den Brief schnell in die Tasche. Dietrich trug seine braune Wildlederjacke, also hatte er wohl gerade Pause gemacht und ging jetzt zu seinem Taxi zurück.
    »Hier«, sagte ich und griff nach meinem Portemonnaie, »ich kann dir schon mal einen Fünfziger wiedergeben.«
    Ich hatte inzwischen über tausend Mark Schulden bei ihm.
    »Lass man«, sagte Dietrich, »behalt es einfach. Ich kann dir auch noch mehr geben.«
    Geld war immer noch meine schwache Seite. Ich nahm es, wenn man es mir gab. Und wenn man mir mehr gab, nahm ich auch noch mehr. Rüdiger behauptete, dass ich Dietrich ausnutzen würde. Vielleicht stimmte das sogar. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass ich jetzt schon fünf Jahre mit ihm zusammen war. Auch wenn das natürlich nicht seine Schuld

Weitere Kostenlose Bücher