Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
identifizieren können. Aber dank der Presse weiß jeder im Land, dass Marni Fischer vermisst wird. Er versucht nicht, uns auf die falsche Fährte zu locken, nimmt die Hände nicht, damit wir die Opfer nicht identifizieren können. Er sammelt sie. Ich weiß nicht, Garrett, aber irgendetwas fühlt sich hier nicht richtig an. Es ist definitiv durchdacht, er hat sie genauso positioniert wie die anderen, aber ich bekomme in diesem Fall einfach kein Gespür für das Warum. Er bewegt sich zu schnell, reist durch so viele Staaten. Ich weiß nicht, ob wir ihn erwischen können, während er noch aktiv ist. Er arbeitet auf einen Höhepunkt zu, und er wird uns wissen lassen, was es ist, wenn er dazu bereit ist. Wie viele wird er sich noch vornehmen, bevor er diesen Punkt erreicht hat?”
Er seufzte und fuhr sich wieder mit der Hand durchs Haar. Wenn er so weitermachte, hätte er am Ende des Nachmittags einen Irokesenschnitt.
“Tja, Baldwin, dann schlage ich vor, dass du fünf Schritte vorwärts gehst, von da aus, wo du jetzt bist.”
“Ich gebe wirklich mein Bestes. Ich werde sie ins Leichenschauhaus begleiten, der Autopsie beiwohnen. Ich muss sehen …”
Garrett unterbrach ihn. “Ich weiß. Mach nur.”
Baldwin steckte das Handy in seine Jacke und lehnte sich gegen den Wagen des Sheriffs. Er legte die Fingerspitzen vor seinen Lippen aneinander und stieß einen Seufzer aus. Inmitten von alldem hier vermisste er Taylor. Sie hatte ihn vor sich selbst gerettet, vor einer Welt von Tod und Sterben. Sie hatte seine Seele gerettet, was für sein Weiterleben wichtiger war, als es ein Herzschlag je sein könnte. Alleine bei dem Gedanken an sie musste er lächeln. Nur ein winziger Augenblick alleine mit ihr würde alles besser machen. So war es immer. Er stellte sich vor, wie sie in ihrer Küche in Nashville herumhantierte, Kommentare über ihre Schulter rief, während sie das Abendessen zubereitete. Er sah ihr Lächeln, ihre neckenden grauen Augen, eines einen Hauch dunkler als das andere; diese vollen Lippen, das honigblonde Haar, das ihr wie ein Wasserfall über den Rücken floss. Er erinnerte sich an die Nacht, in der er sie zum ersten Mal geliebt hatte, und war peinlich berührt, als er spürte, wie er hart wurde. Er drehte sich um, sodass er dem Streifenwagen zugewandt war, und verbarg sein Gesicht in den Händen. Gott, alleine die Vorstellung von ihr erregte ihn, erfüllte ihn mit einer Sehnsucht, die beinahe schmerzhaft war. Es waren die kleinen Unstimmigkeiten, die ihn so anzogen. Ihr kehliges Lachen, die raue Stimme. Die seidige Haut in ihrem Nacken, die zu der Narbe führte, die sie beinahe das Leben gekostet hätte. Er sehnte sich nach ihr, nach ihrer Berührung, einem Kuss, ihrer Stimme, allem, was ihn von diesem trostlosen Feld und in ihre warme Umarmung entführen würde. Es erstaunte ihn immer wieder, wie nah verwandt Sex und Tod waren. Er nahm an, dass manche Männer deswegen aus Liebe töteten.
Er schaute sich um, bemerkte die Blätter, die sich in Erwartung des Regens nach oben bogen, die Pollen, die sich auf jedem unbelebten Objekt in Sichtweite niedergelassen hatten. Die Sonne verblasste, der Sturm kam näher. Wolken verdunkelten den Himmel, und er war umgeben von blitzenden Lichtern und dem Geruch des Todes. Um ihn herum riefen Stimmen, ungeduldig, gereizt. Doch die Grillen zirpten, unbeeindruckt vom drohenden Regen, und gaben der Szenerie fast den Anschein eines Campingausflugs. Er fragte sich zum wohl hundertsten Mal, warum er das hier eigentlich machte. Warum er auf der Jagd nach einem weiteren Mörder war, wenn er doch zu Hause sein könnte, in Taylors warmer Umarmung, beschützt vor der Realität seines Lebens. Er sollte wirklich endlich aufhören, das wusste er. Taylor hatte sein Herz geheilt, aber die Mörder schlenderten immer noch durch seinen Geist. Er wollte einfach nur nach Hause. Mit einem Seufzer stieß er sich vom Wagen des Sheriffs ab. Er musste ins Leichenschauhaus und der Autopsie beiwohnen. Keine Zeit mehr für die Liebe. Er zog die Mauer um sein Herz wieder hoch, schaltete seine Seele ab und ging auf Grimes zu.
“Hey, sind Sie bereit, mich zur Gerichtsmedizin zu begleiten? Unsere geschätzten Kollegen vor Ort versprachen, sie würden die Autopsie für uns sofort angehen.”
“Baldwin, gehen Sie ruhig schon vor. Ich werde hier bei den Kriminaltechnikern bleiben und schauen, ob wir noch was finden, irgendetwas, was uns weiterhilft, bevor der Regen alle Beweise fortspült.”
Baldwin
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