Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
erzählst von dir selber. Bis zum Schluß. Da konntest du es nicht mehr sein. Denn du bist hier. Und dein Ohr ist nicht von Säure zerfressen.
    Jesper Humlin horchte auf.
    - Welche Schwester? Welches Ohr?
    - Ich werde es nicht erzählen. Jedenfalls nicht, solange du hier sitzt.
    Tanja schlug weiter auf sie ein.
    - Er ist unser Lehrer. Er soll zuhören. Vielleicht kann er dir etwas beibringen, was dir hilft, besser zu erzählen.
    - Ich will es hören, sagte Tea-Bag. Ich muß jemand anders hören als mich selbst. Mir brummt der Kopf von meinen eigenen Zungen. Sie fliegen hier drinnen herum wie Falter, die niemand schön findet.
    Nachdrücklich klopfte sie gegen ihren Kopf. Leyla deutete auf Jesper Humlin.
    - Nicht solange der hier ist.
    - Er kann draußen im Flur sitzen.
    Tanja hörte auf, ihren Arm zu traktieren, und nickte zur Tür hin. Jesper Humlin nahm seinen Stuhl mit und setzte sich draußen in den Flur. Ich soll sie nicht bei ihrer Beichte sehen, dachte er. In der Küche war es still geworden.
    »Ich hatte einmal eine Puppe, die hieß Nelf. Ich hatte sie im Flüchtlingslager unter einem Bett in einem Zimmer gefunden, wo die Menschen kamen und gingen und man nachts die Leute in ihren Alpträumen weinen und schreien hörte. Aber da war oft auch eine Erleichterung. Man war angekommen. Man war in Schweden. Alles würde gut werden, ohne daß jemand eigentlich erklären konnte, was >gut< war. Ich fand, es war >gut<, daß ich diese Puppe gefunden hatte, und ich taufte sie sofort auf den Namen Nelf. Ich war so verwundert, daß

niemand verstand, was das bedeutete. Nicht einmal Großmutter Nasrin, die damals noch klar im Kopf war. Aber auch sie verstand nicht, daß es der Name eines Gottes war, den nur ich kannte.
    Wir waren aus dem Iran gekommen, aber ich erinnere mich kaum an die Reise, nur, daß Papa kurz vor der Landung alle unsere Papiere zerriß, seinen und Mamas Paß und Nasrins Paß, der eigentlich nicht von ihr war, sondern von Onkel Reza. Erst kamen wir nach Flen, da fand ich die Puppe, und ein paar Monate später landeten wir in Falun, und da waren wir drei Jahre, bevor wir hierher nach Göteborg zogen, nach Stensgården.
    Schon in Falun entschied mein Vater, daß meine Schwester Fatti einen von Memeds Brüdern heiraten sollte, Memed, der in Södertälje wohnt und einer der ersten war, die nach Schweden kamen, noch ehe der Schah gestürzt wurde und Khomeini uns alle mit starrem Blick fixierte und das Land in etwas verwandelte, das besser sein sollte und es vielleicht irgendwann auch einmal sein wird. Aber Fatti schlich sich leise hin und belauschte das Gespräch zwischen Papa und Memed, man hatte ihr geboten, sich fernzuhalten, aber sie hockte vor der geschlossenen Tür zum Wohnzimmer, und als sie zurückkam und sich in dem Zimmer, das wir teilten, in das Bett an der Wand gegenüber legte, hörte ich sie weinen.
    Ich stand auf und kroch zu ihr ins Bett, das tun wir immer, wenn eine von uns traurig ist oder Alpträume hat oder sich einfach einsam fühlt. Fatti zog die Worte aus ihrer Verzweiflung hervor, sie hickste das Entsetzliche heraus, das sie durch die geschlossene Tür gehört hatte. Sie hatte gehört, wie Papa und Memed vereinbart hatten, daß sie Memeds Bruder Faruk heiraten sollte. Genauso gut wie ich wußte sie, wer Faruk war, er hatte einen kleinen Lebensmittelladen in Hedemora, und alle waren überzeugt, daß Memed das alles bezahlte, denn niemand kaufte je dort ein. Faruk kam uns oft

an den Wochenenden besuchen. Weder Fatti noch ich mochten ihn. Er war lieb, aber er war zu lieb, lieb auf eine Art, daß man Angst vor ihm bekam. Und jetzt sollte Fatti gezwungen werden, ihn zu heiraten.
    Sie sagte, sie würde weglaufen, aber sie wußte nicht, wohin. Vor meinem Vater kann man nicht davonlaufen, er würde tausend Jahre nach einem suchen und er würde einen finden. Das sagte ich zu meiner Schwester. Es mußte eine andere Möglichkeit geben, die Heirat mit Faruk zu verhindern. Mama konnte nicht helfen, sie tat nie etwas, ohne Papa vorher zu fragen, höchstens Nasrin, das war in dem Fall die einzige. Am folgenden Tag, es war Mittsommer, wie ich mich erinnere, gingen Fatti und ich hinunter zum See zwischen den Birken und redeten mit Nasrin. Aber Großmutter wurde böse und sagte, Fatti sollte froh sein, daß sie einen Mann wie Memed zum Verwandten bekam. Ich werde nie vergessen, wie Nasrin über Memed sprach, obwohl es ja Faruk war, den Fatti heiraten sollte. Ich merkte, wie verzweifelt Fatti war. Nasrin

Weitere Kostenlose Bücher