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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Tansania, um sich dort an Bord eines Schiffs zu schmuggeln. Aber es gab auch solche, die bereits aufgegeben hatten. Sie waren bis nach Lagos gelangt und glaubten nicht, daß sie je weiterkommen würden. Alle fürchteten die Militärs, die jungen, lachenden Soldaten. Viele hatten entsetzliche Geschichten zu erzählen, andere waren aus Gefängnissen geflüchtet, an Leib und Seele versehrt.
    Ich versuchte diesen blinden Tieren zu lauschen, ihren Geruch zu entschlüsseln und eine Antwort auf die Frage zu finden, wohin ich selber unterwegs war. Immer wenn ich einen neuen Flüchtling traf, fragte ich ihn, ob er meinen Vater gesehen oder etwas von ihm gehört hätte. Aber er war und blieb verschwunden. Es war, als hätten ihn diese jungen

Soldaten mit ihrem Gelächter in Stücke gerissen. Ich versuchte mit dir zu sprechen, Alemwa, aber ich konnte deine Stimme nicht hören. Es war, als machten alle Augen der Stadt, all diese schnaubenden Maschinen es unmöglich, deinen Atem zu spüren. Ich war noch nie so einsam wie während dieser Tage und Nächte in Lagos. Ich war so einsam, daß ich mitunter heimlich andere Menschen berührte, die auf der Straße an mir vorbeigingen. Manchmal hörte ich sie schreien, weil sie glaubten, ich sei eine Taschendiebin.
    Ich rannte, immerzu rannte ich, sogar wenn ich schlief, bewegten sich meine Beine. Ich fing an, diesen Mann zu jagen, der mir würde helfen können. Aber er war es, der mich fand. Ich war zu einem Straßenlokal gegangen, ich lungerte in den Schatten vor der Zauntür herum, wo wütende Wächter alle verjagten, die bettelten und die Vornehmen und Reichen störten, die aus ihren Autos mit Chauffeur stiegen. Plötzlich spürte ich diesen stinkenden Atem. Ich schrak zusammen und drehte mich um, bereit zuzuschlagen, falls mich jemand anzugreifen versuchte.
    Der Mann, der da stand, war klein, sein Gesicht war blaß, er war weiß und hatte einen kleinen Schnurrbart. Er atmete dicht neben meinem Gesicht. Sein Lächeln hätte mich warnen müssen, schließlich hatte ich gelernt, daß lächelnde Menschen mit unheimlicher Präzision und Brutalität töten konnten, ich hatte gesehen, daß lächelnde Menschen stechen und schlagen und betrügen konnten. Aber vielleicht war ich so verzweifelt, daß ich mich nicht um sein starres Lächeln kümmerte, oder vielleicht hörte ich auch einfach keine warnende Stimme. Er fragte mich, wie ich hieß, und er sagte, er käme aus Italien, vielleicht hieß er Cartini oder Cavanini, ich erinnere mich nicht mehr. Aber er war Ingenieur, er war vier Monate in Lagos gewesen, und jetzt wollte er wieder nach Hause fahren. Es war etwas mit Dampfkesseln gewesen oder vielleicht ein mit Kohle betriebenes Heizkraftwerk, ich weiß es nicht, er sprach

so schnell, und ich sah nur, wie sein Blick über meinen Körper glitt, auf und ab, auf und ab, und ich dachte, das ist der Mann, der mir helfen kann.
    Damals wußte ich nicht, was Italien war. Ich wußte nicht einmal, was Afrika war, daß es Kontinente gab, mit Meeren dazwischen. Ich hatte von Europa gehört, von all dem Reichtum, und ich hatte von Amerika gehört, aber niemand hatte gesagt, daß keine Pfade zu diesen Ländern führten. Vielleicht war Europa eine Stadt, wie Lagos, aber ohne Zäune und wütende Wächter, eine Stadt, wo die Türen offenstanden, wo sogar eine wie ich eintreten konnte, ohne bedroht oder niedergeschlagen zu werden.
    Er fragte, ob ich mit ihm kommen wollte, ob ich einen Preis hätte, ob ich allein sei. Ich fand es sonderbar, daß er die Fragen in der falschen Reihenfolge stellte. Er fragte nach dem Preis, ehe er wußte, ob ich käuflich war. Vielleicht dachte er, alle schwarzen Frauen wären käuflich, und daß es in einem Land, wo fast alle bettelarm sind, keine Würde mehr gibt. Aber obwohl er die Fragen in der falschen Reihenfolge stellte, folgte ich ihm.
    Er hatte ein Auto. Ich dachte, wir würden in ein Hotel gehen, aber er fuhr zu einem großen Gebäude auf einem eingezäunten Gelände mit vielen gleich aussehenden Häusern und Hunden, die alle auf die gleiche Art bellten, Wächtern, die einander aufs Haar glichen, und Lampen vor jeder Tür, die ein starkes, fast ätzendes Licht verbreiteten. Wir gingen ins Haus. Er fragte, ob ich baden wollte und ob ich hungrig sei, und fortwährend glitt sein Blick an meinem Körper auf und ab. Ich hatte ein blaues Kleid an, bei dem eine Naht eingerissen war. Als ich an dem Tisch in der großen Küche saß und aß, berührte er mich durch diese

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