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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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»Kontrolle der Klimaanlagen in den Mietwohnungen.« - Du hast dir die Mühe gemacht, mich aufzuspüren. Außerdem bist du von Göteborg hierher gereist. Das bedeutet, daß du etwas willst.
    Für einen Moment blieb Tea-Bag stumm und zog an ihren Fingern. Dann sagte sie etwas in einer fremden Sprache.
    - Das habe ich nicht verstanden.
    - Ich muß in meiner eigenen Sprache reden, bevor ich in deiner reden kann. Ich schließe eine Tür auf.
    - Wie bitte?
    - Einmal, als ich klein war, klamm ein Affe an meinem Rücken.
    Jesper wartete auf eine Fortsetzung, die nicht kam.
    - Würdest du das bitte wiederholen?
    - Du hast gehört, was ich sagte. »Einmal, als ich klein war, klamm ein Affe an meinem Rücken.«
    - Es heißt nicht »klamm«. Es heißt »klammerte«.
    - Er klammerte nicht. Er machte etwas anderes.
    - Saß er still?
    - Nein.
    - Sprang er herum?
    - Nein.
    Jesper Humlin suchte nach weiteren Verben.
    - Vielleicht kletterte er.
    Tea-Bag lächelte, leerte rasch ihre Kaffeetasse und stand auf. - Willst du schon gehen? fragte er überrascht.
    - Das war alles, was ich wissen wollte.
    - Was?

- Daß der Affe kletterte.
    Plötzlich wirkte sie unruhig. Nun konnte Jesper Humlin seine Neugier nicht mehr zügeln.
    - Du mußt verstehen, daß ich mich wundere. Du kommst aus Göteborg hierher, um mich nach einem einzigen Wort zu fragen?
    Sie setzte sich wieder, zögernd diesmal, noch immer ohne die dicke Steppjacke zu öffnen.
    - Heißt du wirklich Tea-Bag?
    - Ja. Nein. Spielt das eine Rolle?
    - Es ist nicht ganz unwichtig.
    - Taita.
    - Taita. Ist das dein Nachname?
    - Meine Schwester.
    - Deine Schwester heißt Taita?
    - Ich habe keine Schwester. Frag nicht mehr.
    Jesper Humlin fragte nicht mehr. Tea-Bag schaute auf die leere Kaffeetasse, und er ahnte, daß sie hungrig war.
    - Magst du etwas essen?
    - Ja.
    Er stellte ihr Brot und Aufschnitt hin. Sie stürzte sich förmlich darauf. Jesper Humlin sagte nichts, solange sie aß. Statt dessen versuchte er sich zu erinnern, welche Arbeitszeiten Andrea an diesem Tag hatte. Fortwährend lauschte er besorgt nach dem Geräusch eines Schlüssels im Schloß.
    Tea-Bag aß, bis von dem Brot und dem Aufschnitt nichts mehr übrig war.
    - Du wohnst also in Göteborg?
    - Ja.
    - Warum bist du hierhergekommen?
    - Um nach diesem Wort zu fragen.
    Das stimmt natürlich nicht, dachte Jesper Humlin. Aber ich will sie nicht bedrängen. Es wird schon noch früh genug an den Tag kommen.

- Woher stammst du eigentlich?
    - Kasachstan.
    Jesper Humlin runzelte die Stirn.
    - Kasachstan?
    - Ich bin Kurdin.
    - Du siehst nicht aus wie eine Kurdin.
    - Mein Vater war aus Ghana, aber meine Mutter war Kurdin. - Lebt sie nicht mehr?
    - Papa sitzt im Gefängnis und Mama ist weg.
    - Was heißt »weg«?
    - Sie ging in einen Container und verschwand.
    - Was meinst du damit? Daß sie in einen Container ging?
    - Es war vielleicht ein Tempel. Ich erinnere mich nicht. Jesper Humlin versuchte ihre eigentümliche Antwort zu deuten, die verschiedenen Teile in einen Zusammenhang zu bringen. Aber es gelang ihm nicht.
    - Du bist also als Flüchtling hierhergekommen?
    - Ich will hier bei dir wohnen. Jesper Humlin erschrak.
    - Das geht nicht.
    - Warum nicht?
    - Es geht einfach nicht.
    - Ich kann draußen im Treppenhaus schlafen.
    - Das wäre wohl nicht besonders ratsam. Warum willst du nicht in Göteborg wohnen? Da hast du deine Freunde. Leyla ist deine Freundin.
    - Ich kenne keine Leyla.
    - Aber sicher. Sie war es doch, die dich in den Boxklub mitgenommen hat.
    - Niemand hat mich mitgenommen. Ich war allein da.
    Ihr Lächeln war plötzlich erloschen. Jesper Humlin wurde es allmählich mulmig zumute. Es konnte nicht stimmen, daß sie nach Stockholm gereist war, nur um ihn danach zu fragen, welches schwedische Verb passen könnte, um die Bewegungen eines Affen auf dem Rücken eines Menschen zu beschreiben.

Überhaupt fand er keinen Zusammenhang in dem, was sie sagte, und auch nicht zwischen ihren Worten und dem großen Lächeln, das auf ihrem Gesicht wie eine sanft rollende Welle kam und ging.
    - Woran denkst du?
    - Ich denke an das Schiff, das versank. An alle, die ertranken. Und an meinen Papa, der auf dem Dach der Hütte sitzt und nicht herunterkommen will.
    - Und diese Hütte steht in Ghana?
    - In Togo.
    - Togo? Ich dachte, du bist aus Ghana?
    - Ich bin aus Nigeria. Aber das ist ein Geheimnis. Der Fluß brachte das kalte und klare Wasser von den Bergen herunter. Eines Tages kletterte ein Affe auf meinem Rücken.
    Jesper Humlin

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