Tea-Bag
besser erweisen würde, als sich dem Lemmingezug der Autoren anzuschließen, die mehr oder weniger beliebige Kriminalromane schrieben. In dem fortwährenden Machtkampf zwischen Jesper Humlin und Viktor Leander wurden die entscheidenden Schläge in der Form ausgeteilt, daß man sich gegenseitig schlaflose Nächte bereitete. Diesmal war Viktor Leander an der Reihe, wach zu liegen.
Den Rest des Tages verbrachte Jesper Humlin im Bett. Am Abend nahm er ein Taxi zu Andrea nach Hause. Dort erklärte er ihr, was geschehen war. Allerdings veränderte er die Reihenfolge der Ereignisse, überging das Tätscheln der Wange eines unbekannten Mädchens und gab einem aufbrausenden Zigeuner die Schuld, dem er nicht gestattet hatte, an dem Schreibkurs teilzunehmen, den er gerade ins Leben gerufen hatte.
- Wieso konntest du ihn nicht teilnehmen lassen? Zigeuner haben es immer schwer in unserer Gesellschaft.
- Ich habe beschlossen, daß nur Mädchen teilnehmen dürfen. - Konntest du keine Ausnahme machen?
- Dann hätten zehn Boxer Schlange gestanden.
- Warum gerade Boxer?
- Weil Pelle Törnblom einen Boxklub hat. Jetzt bin ich nicht imstande, noch mehr zu erklären. Meine Backe tut mir weh.
In dieser Nacht schliefen sie zum ersten Mal seit drei Wochen miteinander. Am nächsten Tag, als Andrea ihre Wohnung verlassen hatte, öffnete Jesper Humlin unverzüglich ihr Tagebuch und sah nach, was sie geschrieben hatte. Er wußte, daß sie ihre Aufzeichnungen immer morgens machte. Was ist mit ihm los? Es geht so schnell, daß ich gar nicht dazu komme, etwas zu spüren.
Jesper Humlin fühlte sich gekränkt und rächte sich, indem er sich in Gedanken ausmalte, wie er in einem Hotel in Göteborg eine leidenschaftliche Nacht mit der schweigsamen und schönen Frau namens Tanja verbrachte. Es gab mehr als einen Grund dafür, warum er nach Göteborg zurückkehren und den gelinde gesagt verwirrenden Schreibkurs weiterführen sollte, den er nicht ins Leben gerufen hatte, sondern in dessen Klauen er sich eher befand.
Er fuhr nach Hause. Den Nachmittag verbrachte er mit dem Versuch, den blauen Fleck auf der geschwollenen Wange mit verschiedenen getönten Cremes zu kaschieren. Als das Telefon klingelte, beugte er sich über den Anrufbeantworter. Die Neuigkeit von seinem Schreibkurs war sowohl zu Olof Lundin als auch zu Viktor Leander vorgedrungen. Jesper Humlin meldete sich nicht. Er rief auch nicht zurück. Es spannte in seinem Gesicht, als er lächelte.
Kurz nach fünf entschloß er sich zu einem Spaziergang. Als er die Haustür öffnete, entdeckte er, daß jemand auf den Treppenstufen saß. In der Dunkelheit sah er zuerst nicht, wer es war. Dann erkannte er Tea-Bag.
7
E in paar Stockwerke über seinem Kopf knallte eine Tür zu.
Da Jesper Humlin nicht von neugierigen Nachbarn mit einem schwarzen Mädchen im Treppenhaus überrascht werden wollte, schob er sie rasch in seine Wohnung hinein. Im selben Moment befiel ihn die Sorge, daß Andrea auftauchen und ihm eine Eifersuchtsszene machen könnte. Er nahm Tea-Bag mit in die Küche und fragte, ob sie eine Tasse Tee haben wolle. Energisch schüttelte sie den Kopf.
- Ich trinke keinen Tee.
Jesper Humlin dachte an ihren Namen und wunderte sich.
- Was möchtest du dann?
- Kaffee.
Das Mädchen saß auf einem Stuhl und folgte ihm mit dem Blick. Immer, wenn er sie ansah, lächelte sie. Er fand, sie war eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Aber ihr Alter war für ihn immer noch schwer zu bestimmen. Es konnte irgendwo zwischen siebzehn und fünfundzwanzig liegen. Sie war sehr dunkel, ihre Haut war so schwarz, daß sie fast ins Bläuliche spielte. Sie hatte lange, sorgsam eingeflochtene falsche Zöpfe im Haar. Ihr Gesicht war total ungeschminkt. Sie trug eine dicke Steppjacke, die sie nicht ablegte, nicht einmal öffnete, obwohl es in der Küche warm war. An den Füßen hatte sie Turnschuhe mit verschiedenfarbigen Schnürsenkeln.
Als der Kaffee fertig war, nahm er ihr gegenüber Platz. Sie saß auf Andreas Stuhl. Das fand er ebenso beunruhigend wie erregend. Die ganze Zeit hatte er den Impuls, ihr Gesicht zu berühren, mit den Fingerkuppen zu spüren, ob ihre Haut warm oder kalt war.
- Das war nicht schwer.
- Hat Pelle Törnblom sie dir gegeben?
Stumm bewegte sie die Lippen und antwortete nicht.
Es klapperte an der Wohnungstür. Andrea, dachte er entsetzt. Aber niemand kam. Später, als Tea-Bag seine Wohnung verlassen hatte, sah er das Papier, daß im Briefkastenschlitz steckte.
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