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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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den anderen Fingern. Und die Nägel biegen sich und werden krumm, es sind keine Nägel mehr, eher Fischschuppen, meine ganze Person verwandelt sich allmählich in eine Echse, du bist dabei, eine Höhlenechse aus mir zu machen. Das ist eine Art, die es nur bei Wesen wie mir gibt, Wesen, die in Lastwagen und Container gescheucht und wieder hinausgeworfen werden und nicht mehr wissen, ob sie noch existieren oder ob sie schon tot sind und am Meeresgrund liegen. Morgens schaue ich in den Spiegel, und ich kann nicht glauben, was ich sehe, ich versuche es zu vermeiden, aber ich schaue trotzdem in den Spiegel, und mir scheint, daß ich ein altes Weib vor mir habe.
    Als ich klein war, wohnte eine Witwe in einem dieser Häuser, die keine Häuser mehr waren, sondern eingestürzt waren auf dem Weg hinauf in die Berge, erinnerst du dich an sie? Ich erinnere mich, sie war so furchtbar häßlich, wir hatten Angst vor ihr, aber ich verstehe jetzt, daß sie lieb war und nur alt, nicht häßlich, sie hatte vielleicht zu lange gelebt, genau wie sie sehe ich aus, wenn ich in den Spiegel schaue, wie diese alte Witwe. Sie muß sehr arm gewesen sein, ohne Kinder, die waren alle weggegangen oder vielleicht tot, und sie selbst war wohl eigentlich auch schon tot, ohne daß sie es bemerkt hatte.

Die Augen, meine Augen also, ich spreche nicht mehr von dieser Witwe, sie sind so unheimlich, es ist, als starrten sie mich haßerfüllt an, ich will diese Augen nicht haben, sie gehören nicht zu mir, und die Zunge, nein, du willst meine Lunge nicht sehen, das willst du nicht, sie ist voll von sonderbaren Belägen, es fühlt sich an, als hätte ich ein Tier im Mund, und das kommt nur daher, weil du so viel redest. Kannst du nicht still sein, nicht um meinetwillen, aber jemand anderem zuliebe, egal wem. Mein Vater ist tot, ihm kannst du nichts mehr anhaben. Ich habe meinen Vater geliebt, und dich liebe ich auch, aber ich will, daß du still bist. Ich begreife, daß du es schwer hast, ich begreife, daß du Angst hast, wenn jemand das versteht, dann ich, ich glaube, nicht einmal mein Vater verstand es so gut wie ich. Wenn du nicht aufhörst zu reden, kratze ich dir die Augen aus, nimm dich vor meinen Daumennägeln in Acht, nimm dich vor ihnen in Acht.
    Du lügst und lügst. Wir sind am Ziel, bald sind wir am Ziel, bald gibt es uns wieder, Herrgott, wann? Erzähl mir das! Nein, sag nichts, ich will es nicht wissen, es spielt sowieso keine Rolle, weil es nicht wahr ist, was du sagst. Ich bin wie eine Gefangene meiner eigenen Unsichtbarkeit, nicht nur, weil ich auf der Flucht bin, sondern weil du mich gefangenhältst, du redest davon, daß wir bald am Ziel sein werden, aber du bist wie ein Gefängniswärter geworden. Weißt du, was ich denke? Ich denke manchmal, daß ich einfach verschwinden, erfrieren werde, nur um deine Lügen nicht mehr hören zu müssen. Es ist nicht meine Absicht, gemein zu sein, ich sage das alles, weil ich dich liebe und weil ich dir helfen muß, da du nicht mehr imstande bist, auch nur einen einzigen vernünftigen Gedanken zu fassen. Verstehst du, daß ich nicht gemein bin, verstehst du das? Wenn du auf das hörst, was ich sage, verstehst du es, nicht auf die Worte, aber auf das andere. Hörst du auf die Worte oder das, was ich sage? Siehst du, daß es mich hier gibt,

oder bin ich auch für dich ausgelöscht? Was hat dann alles noch für einen Sinn?
    Ich weiß nicht mehr, was für einen Sinn es hat, aber jetzt muß ich eine Entscheidung treffen, was geschehen soll, sonst geschieht gar nichts. Mitten in alledem, all diesem Reden und Spucken, habe ich etwas entdeckt, weißt du, was es ist? Ich bin nicht sicher, ob ich es erklären kann, und selbst wenn ich es erklären kann, bin ich nicht sicher, ob du es begreifst, überhaupt begreifen willst, da du immer meinst, du weißt alles besser. Nichts weißt du mehr besser, ich auch nicht, aber ich versuche es immerhin. Es ist, als verspürte ich zum ersten Mal etwas, das mit Freiheit zu tun hat, kannst du dir das vorstellen, so ein komisches Gefühl, nicht eingesperrt zu sein, und das verstehe ich am allerwenigsten, wie man sich frei fühlen kann, wenn man in einer Höhle hockt und nicht existiert.
    Ich bin kein Kind mehr und auch nicht erwachsen, aber ich begreife jetzt etwas, was ich bisher nicht begriffen habe, daß ich mich davor hüten mußte, mich mit dir zu entzweien, das war es, worum sich mein Leben drehte. Es war diese Tradition, von der du dauernd redest, dieser Respekt, der

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