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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hasse es, wenn ich aufwache, bevor ich muß, aber ich hatte von Äpfeln geträumt, im Traum war ich wütend, Äpfel, die glänzten, aber beim ersten Biß nach verdorbenem Fisch schmeckten oder stanken wie der Katzenkadaver, den ich einmal gefunden habe, als ich ein Kind war. Die tote Katze lag außerhalb einer Umzäunung, jemand hatte ihr die Pfoten abgeschnitten, in ihr wimmelte es von Maden, und wir waren ein paar Kinder, die mit Stöcken auf sie einschlugen, obgleich es wohl eher der Zaun war, auf den wir einschlugen, oder vielleicht waren wir es sogar selber, die wir

I ch weiß nicht, was mich geweckt hat, ob es die Äpfel waren oder die Katze, aber ich war wütend, es war erst sechs; wann wache ich schon aus freien Stücken um sechs Uhr morgens auf, nie. Doch, ich lüge, ich wache oft früh auf, aber meistens gelingt es mir, wieder einzuschlafen. Das steckt mir in den Knochen, seit ich ganz klein war, gleich nachdem mein Bruder Amed erschossen wurde, ich wachte auf, weil ich Angst hatte, Papa würde nicht dasein, wenn ich morgens aufstand. Ich hatte immer Angst, jemand würde auch ihn töten. Mir kam es vor, als ob Amed wie ein Schatten dort im Dunkeln stand und mir sagte, ich solle wieder einschlafen, es drohe keine Gefahr. Jede Nacht dasselbe. Obschon ich wußte, daß Amed tot war, hatte ich ihn gesehen, als er auf einer Bahre weggetragen wurde, und sein Gesicht war so friedlich, als läge er eigentlich schlafend da oben auf der Bahre, die auf den Schultern zorniger Männer zu Grabe getragen wurde. Jede Nacht wachte ich auf, und er stand da und tröstete mich, sagte, ich solle wieder einschlafen.
    Jetzt sehe ich ihn nicht mehr, es ist, als würde das Licht hier in Schweden nicht zu seinem Schatten passen, er fühlt sich hier nicht wohl. Aber trotzdem wache ich auf, und manchmal liege ich lange wach, bevor ich wieder einschlafe. Aber heute morgen wollte ich nicht aufwachen, ich wollte schlafen, warum soll ich aufwachen, in die Schule gehen, in die Schule, wo ich sowieso nichts begreife. Ich weiß nicht, was es war, aber ich stand auf, ich war so unruhig, ein Kribbeln im ganzen Körper, ich zog mich an und ging hinaus. Gerade in der Morgendämmerung kann es schön sein in diesem Land, fast keine Menschen, die Hochhäuser ragen auf wie riesige gefrorene Säulen aus grauem Stein, als wären sie aus dem Berg gehauen.
    Es war kalt, und plötzlich wußte ich, daß ich Großmutter besuchen muß, die in Nydalen wohnt. Sie und Papa verstehen sich nicht, deswegen können sie nicht zusammenleben. Ich weiß

nicht, weshalb sie streiten, wir treffen uns an Feiertagen, und alle zwei Monate ist sie zum Essen bei uns. Den Ramadan, das Ende des Ramadans, feiern wir auch zusammen, aber sonst wollen weder sie noch Papa sich mehr als nötig treffen. Ich habe durch den Türspalt von Mamas und Papas Schlafzimmer gespäht, bevor ich ging, es erschreckt mich jedesmal wieder, wenn ich schlafende Menschen sehe, sie sind unerreichbar, sie sind, als wären sie schon tot.
    Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so früh unterwegs war. Keine Menschenseele. Ich ging zur Straßenbahnhaltestelle. Da stand ein Mann, der Johansson heißt, er ist Schwede, obgleich er wohl eigentlich Russe ist, er ist jeden Freitag betrunken, und er steht immer unten an der Straßenbahnhaltestelle, er fährt nirgendwohin, er steht nur da, als würde er auf jemanden warten, der nie kommt, und er murmelt immerzu. Meine Schwester und ich haben einmal versucht uns anzuschleichen, um zu hören, was er sagt; >Krach, Krach, viel zuviel Krach< war alles, was wir hörten. Es ist, als wäre es sein Freitagsgebet, das er dort jeden Tag verrichtet. Er ist bestimmt an die hundert Jahre alt, vielleicht ist er schon tot und hat es nur noch nicht gemerkt, oder er hat vergessen, sich begraben zu lassen, vielleicht hat er keine Angehörigen, und er steht da und leiert seinen Spruch über den viel zu vielen Krach vor sich hin.
    In der Straßenbahn waren nicht viele Leute, ich setzte mich ganz hinten hin, ich mag es, wenn ich fast allein in einer Straßenbahn bin, es ist, als säße man in einer weißen Limousine in Hollywood. Dann erscheint die Fahrt länger, man kann sich vorstellen, daß man woanders ist, in Hollywood oder Neuseeland, davon habe ich immer geträumt, weil es auf der anderen Seite des Erdballs liegt, ich habe es in der Schule auf einer Karte gesehen, und im Computer, Auckland, Wellington, und alle Schafe, die da herumlaufen, aber ich werde nie hinfahren,

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