Team Zero 1 - Heißkaltes Spiel (German Edition)
Verhalten rechtfertigen.
Und wer wollte schon mit einem emotionalen Krüppel alt werden? Bis dass der Tod euch scheidet. Alles Märchen. Alles Quatsch.
Trotzdem wollte sie Will nicht verletzen. An seinem Verhalten meinte sie zu erkennen, dass sie aber genau das erreicht hatte. Seine Hände hatten das Lenkrad so fest umklammert, dass sich die Haut um seine Knöchel weiß färbte. Josy war kein Unmensch, und obwohl sie lieber noch eins oben draufgesetzt hätte, um ihre emotionale Mauer noch höher zu ziehen, entschied sie sich gegen jede Vernunft, es dann doch wieder gutzumachen. Außerdem hoffte sie, mit etwas Small Talk ihr Auto vor größerem Schaden bewahren zu können. Er fuhr nämlich wie ein Berserker.
„Ich habe heute Alexa kennengelernt“, begann sie vorsichtig. Es klang eher wie ein Würgen als der Start für ein nettes, ablenkendes Gespräch. Infolgedessen würdigte er sie nur mit einem „Mhumpf.“ So sehr es ihr widerstrebte, sie wollte die Wogen glätten, also arbeitete sie sich tapfer vor und erduldete seine knappen Reaktionen, die sie gewiss verdient hatte. „Hat Alexa auch eine Gabe?“
Will schenkte ihr einen flüchtigen Blick, sah dann zurück auf die Straße. Seine harten Gesichtszüge wirkten im Mondlicht noch strenger.
Er war ziemlich sauer.
Mit haarsträubendem Tempo fuhren sie durch einen Wald hinauf auf eine Anhöhe. Will hatte ihr nicht gesagt, wo ihr Ziel lag, oder was genau sie zu erwarten hatte. Im Moment interessierte sie auch nur, dass er ihr ihre Abweisung und das kindische Benehmen vergab. Er musste sie für geisteskrank halten. Wahrscheinlich war sie auch nahe dran, völlig abzudrehen. Jeder Mensch hat so seine Schwächen. Zu den ihren zählte unter anderem ihr mangelhaftes Einfühlungsvermögen, dessen Reste sich immer dann verflüchtigten, wenn sich ihr Selbstschutz aktivierte. Dass ihr automatisierter Schutzwall ausgerechnet Will getroffen hatte, tat ihr leid. Es war das erste Mal, dass sie sich darüber ärgerte, dass sie war, wie sie war.
„Alexa ist eine Empathin“, antwortete Will und beendete ihren nervenden Gedankenfluss.
„Ach du liebe Zeit.“ Hatte sie das etwa laut gesagt?
„Ja, es kann manchmal ganz schön anstrengend sein. Zum Beispiel, wenn sie meint, deine Gefühle erörtern zu müssen.“ Er klang distanziert freundlich, als müsse er sich bemühen, überhaupt mit ihr zu sprechen.
„Heißt das, sie spürt, was jemand fühlt?“
„So ungefähr.“
„Das muss furchtbar anstrengend sein.“
„Ist es auch. Als ich sie zu mir geholt habe, war sie verstört und mit ihrer Fähigkeit überfordert. Es hat lange gedauert, bis sie ihre Gabe kontrollieren und richtig einsetzen konnte. Empathen spüren Gefühle nicht nur, sie ziehen sie an. Das heißt, dass sie alles, was sie spürt, auf sich selbst überträgt. Ist sie mit depressiven Menschen zusammen, fühlt sie sich niedergeschlagen. Verkehrt sie mit fröhlichen Menschen, hebt es ihre Stimmung.“
Das war keine Gabe, sondern ein Fluch. Wie konnte ein Mensch das ertragen? Wie konnte Alexa sie ertragen? Oh Gott. „Das muss unerträglich sein.“
„Man kann einem Empathen mit Medikamenten helfen, die diese Gefühle unterdrücken, beziehungsweise verhindern, dass er sie aufnimmt. Aber dann wäre sie zu gar keinen Gefühlen mehr fähig, auch nicht zu ihren eigenen. Alexa ist stark und wollte ihre Gabe nicht verdrängen. Durch Meditation und Entspannungsübungen hat sie gelernt, ihre Fähigkeit und die Stärke ihrerGabe zu regulieren.“
„Mentales Training?“
„Es gibt Tage, an denen zieht sie sich zurück, um den ganzen Eindrücken aus dem Weg zu gehen oder Kraft zu sammeln. Sie hält sich auch nicht gern in großen Menschenansammlungen auf, was verständlich ist. Aber ja, im Großen und Ganzen funktioniert das alles mit mentalem Training. Am Wichtigsten ist aber, dass sie keine Medikamente nehmen muss.“
Es war sehr nett, dass Will Alexa geholfen hatte, mit ihrer Fähigkeit umzugehen. „Klar“, sagte sie und lehnte ihren Kopf gegen die kühle Autoscheibe, um in die Nacht hinauszublicken. Es hätte Josy sehr interessiert, welche Menschen und vor allem welche Fähigkeiten sie zu erwarten hatte, aber sie spürte, dass Will nicht dazu aufgelegt war, Konversation zu betreiben, also beschloss sie, ihm nicht weiter auf die Nerven zu gehen. Sie würde diese Dinge sicher nach und nach selbst herausfinden.
8
A
m nächsten Morgen wachte Josy ausgeschlafen in einem gemütlich warmen Zimmer auf.
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