Techno der Jaguare
Liege. Sie drehte sich zur Wand. Lange hörte sie das Flüstern des Vaters, der von einer ihr fremden Leidenschaft erfüllt war. Das unterdrückte Kichern der Frau zermürbte Adna.
Über die heruntergekommenen Wände der Hütte ergoss sich die Handschrift dieses Mannes – Briefe, die er nie versandt hatte. So schrieb nur er, mit solchen runden und vollen Buchstaben. Diese Briefe zu lesen – davor fürchtete sie sich. Das war ein Vater, den Adna nicht kannte; und doch war dies hier der wahre Vater. Schwärmerisch waren die Briefe, sehr warm. Zu warm. Das Licht tauchte das Zimmer in ein unwirtliches Grau. Die ganze Nacht über las Adna die krakeligen Zeilen. Sie gab acht, dass die Kerze nicht erlosch. Unendlich viele Gefühle hatten Platz auf diesen einfachen, weißen Wänden. Sein Leiden schmerzte sie zutiefst. Sie wollte ihn in ihre Arme schließen, den Vater, der, wie sie festgestellt hatte, sich nach einer Zukunft sehnte in dieser ärmlichen Hütte, nach einer Zukunft mit dieser Frau. Er wusste nicht, dass seine Zukunft einzig und allein Schuldgefühle und unterdrückte Hoffnung für ihn bereithielt. Adna wusste das, und es schmerzte sie, schmerzte sie unerträglich! Sie weinte. Beweinte den Vater. Beneidete die Mutter. Die würde ihr Leben lang nicht erfahren, dass ihr Glück nur eine Illusion gewesen war! Dass sie nie geliebt worden war! Etwas starb in Adna, und gleichzeitig erblickte etwas das Licht der Welt. Adna rannte weg, ohne sich auch nur einmal umzublicken, rannte sie davon. Sie fühlte sich schuldig vor dem Vater, den (vermutlich) die übermächtigen Erinnerungen und Gewissensbisse zugrunde gerichtet hatten. Auch hätte Adna alles darum gegeben, diese Frau noch einmal zu sehen, nur zu sehen! Sie begriff, wie gut es getan hätte, das Glück des Vaters noch einmal zu streifen, sehr gut!
Die leere Hütte
In der leeren Hütte begegnete ihr das unangenehmste Gefühl, das Adna aus ihrer Kindheit kannte, wieder. Jenes Gefühl, das sich jedes Mal nach dem Aufwachen schmerzlich in ihrer Brust bemerkbar machte. Deshalb hatte Adna Angst vor der eigenen Brust. Deshalb empfand sie sie als etwas Fremdes, das nicht zu ihr gehörte.
Wie ein hilfloses Kind war sie diesem Gefühl ausgeliefert. Jahrelang hatte Adna mit dem Schmerz gekämpft. Sie hatte geglaubt, dass sie ihn besiegt hatte, doch jetzt war er wieder da, peinigte sie in diesen kalten, leeren und stummen Wänden. Er war überwältigend. Er machte sie rasend. Unzählige Gestalten in den verschiedensten Farben wirbelten um sie herum. Ihr wurde schwarz vor Augen. Sie rannte gegen die rissigen Wände. Suchte nach der Tür, fand sie aber nicht, in ihrer panischen Angst. Sie weinte. Sie weinte so, wie sie als Kind geweint hatte, haltlos und einsam. Sie krümmte sich vor Schmerz, ging in die Knie. Vergrub den Kopf zwischen ihren schmalen Armen. Zitterte, völlig verwirrt, ohne jegliches Gefühl für Zeit. Die Kälte schreckte Adna auf. Zunächst wagte sie es nicht, aufzusehen. Die Tür zu dem Feld hinter ihrem Rücken stand offen.
Adna wurde bewusst, dass es ihr schwerfiel, die Hütte zu verlassen. Ängstlich sprang sie auf. Mit ausgestreckten Händen tastete sie sich vorwärts. Vorsichtig befühlte sie die Risse an den Wänden. Sie wollte nicht wahrhaben, dass sie diese alten und heruntergekommenen Wände geradezu liebkoste, die so aussahen, als könnten sie jeden Moment einstürzen.
Der Pfad auf diesem kargen Feld erschien jetzt beunruhigend grün.
Sie spürte einen furchtbaren Schmerz in der Brust, dann aber wurde ihr klar, dass diese nun wieder zu ihr gehörte. Sie war nun wieder ein Ganzes. Sie zog ihren Ausschnitt etwas herunter. Beäugte verstohlen ihre Brust. Roch den eigenen Körper. Dio hatte gesagt, sie rieche wunderbar. Der weiblichste Duft auf der ganzen Welt. Adna lächelte.
Der Pfad wurde langsam schmaler.
Die Fischhütte
Aus der Hütte kam ein strenger Geruch. Sie kannte diesen Gestank, und die Erinnerung, dass auch sie irgendwann in diesem Geruch verloren gewesen war, quälte Adna. Sie wollte nicht nachdenken. Sie stemmte sich gegen die Tür. Ein Gefühl der Schwere erdrückte sie. Sie ließ den wackeligen Griff los. Ihr Herz raste wie damals, in jener Erinnerung, die sie vor langer Zeit tief vergraben hatte.
Sie trat ein. Unwillkürlich schloss sie die Tür hinter sich und verschwand in der kühlen Tiefe.
***
Unfassbares Chaos um sie herum. Adna verstand nicht, was die Dorfbewohner riefen. Was sie wollten … Der Schweißgeruch
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