Techno der Jaguare
durchdrang alles. Adna hielt die Luft an. Sie bahnte sich einen Weg durch den unerträglichen Gestank und die irren Gesichter. Jemand stieß mit dem Ellbogen gegen ihre Brust. Ein dumpfer Schmerz. Die Enge schnürte ihr die Kehle zu. Es kam ihr vor, als rinne Blut aus ihrem Körper, Blut, das genauso wässrig war wie das der vielen Dorfbewohner, das weder süßlich schmeckte noch schwer war … Sie spürte ihre Ohnmacht gegenüber der Menge … Diese irren Augen drangsalierten sie. Die Menge zog sie unaufhaltsam in die Tiefe. Ihr kam es vor, als schrien all diese unzähligen Menschen mit fratzenhaften Gesichtern sie an … In der Ferne erkannte sie Dios Pullover … Sie wollte sich zu ihm durchkämpfen … sie dachte, sie würde all den Schmerz und den Wahnsinn hinter sich lassen können, wenn sie es bis zu Dio schaffte. Ein fetter Mann mit kurzen, dicken Fingern stellte sich ihr in den Weg. Die fleischigen Lippen ließen ihn noch abscheulicher erscheinen. Wie er mit seinen riesigen Zähnen an einem Weizenhalm kaute. Adna bildete sich ein, dass ihm sogar Borsten auf den Zähnen wuchsen. Der Dickwanst schüttelte ruhig und berechnend den Kopf. Adna schrie auf. Sie rief nach Dio. Nach jenem Mann, der sie nicht hörte, wie immer. Den roten Pullover konnte Adna jetzt kaum noch erkennen. Dio war schon ganz weit weg. Ein anderer Strom hatte ihn mit sich gerissen, ihn, der ihr genauso verwirrt und verschüchtert vorgekommen war wie sie selbst.
Der Mann mit den borstigen Zähnen flüsterte Adna ins Ohr, dass sie nur ihm allein gehöre. Nur ihm! Sie brach in hysterisches Gelächter aus … Der Mann packte sie, drückte sie so fest an seine stinkende Brust, dass ihre Knochen knackten. Adna wehrte sich, sehr lange. Sie schlug um sich. Wie eine Hyäne schrie sie ihn an. Adna war ganz allein in der Menge. Der rote Pullover war schon verschwunden. Der Mann spuckte den Weizenhalm aus und presste seinen Mund auf ihre Lippen. Der abscheuliche Geschmack raubte Adna völlig den Verstand. Es kam ihr vor, als sei ihr Mund voll mit rohen, verdorbenen, glitschigen Fischen. Sie hielt den Atem an, riss sich mit Mühe von den schmierigen Lippen weg; mit den Händen fuchtelte sie ihm wild im Gesicht herum. Sie spuckte ihn an, gab dem Borstigen seinen Gestank zurück … Das Erste, was ihr auffiel, war, dass sie die Einzige war, die hier Lärm machte. Die Menge hatte sich beruhigt, genauso schnell, wie sie explodiert war … Die Dorfbewohner umzingelten Adna und den Borstigen … Gebannt sahen sie den beiden zu.
Adna hielt inne. Diese Stille war beklemmender als der Lärm … Sie ahnte, dass hier etwas Grausames im Gange war … Der Fette leckte sich ihren Speichel von der Unterlippe. Auf seinem Gesicht breitete sich eine seltsame Zufriedenheit aus. Adna wich zurück … Sie wollte fliehen, aber die Menge tobte und stieß sie zurück in den Kreis … Der Mann öffnete gierig seine Hosenknöpfe … Unzählige dünne Fädchen in seinen Augen. Die Menge dröhnte … Adna wurde fast ohnmächtig vor Entsetzen … der Fischgeschmack, der Schweißgeruch, die anfeuernden Schreie aus der Menge, der stechende Schmerz und der schnelle Atem des Mannes flirrten durch ihr Bewusstsein. Als sie die Augen öffnete, lag sie in der leeren Hütte. Niemand und nichts war um sie herum, außer den weiß verputzten Wänden … Adnas nackter Körper roch nach Fisch … Sie dachte, der Tod riecht nach Fisch. Sie rannte, rannte immer weiter. Ihr entsetzliches Geschrei hallte wie ein Echo durch den Raum. Angstvoll verkrochen sich die in Menschen verwandelten, in Individuen zerfallenen Teile der Menge in ihren schmutzigen Hütten.
Irgendwo auf dem unteren Treppenabsatz seines Hauses saß Dio und träumte von Adna.
***
Die Umrisse der Fischhütte waren gerade noch erkennbar in der Dunkelheit. Adna hatte Angst, zurückzublicken. Eiligen Schrittes lief sie weiter. In der Ferne bemerkte sie einen dünnen Lichthauch. Adna rannte. Sie wusste, dort war Wärme, nur dass sie kein Wort für das finden konnte, was sie dabei fühlte. Sie konnte es nicht finden. Sie wusste nicht, warum, aber sie dachte auch an Dio. An ihren kindlichen Dio mit seinem schiefen Lächeln.
Die Teehütte
Der Fremde saß mit dem Rücken zur Tür in der Hütte. Die Silhouette kam ihr bekannt vor, aber sie erinnerte sich nicht. Es war eher Neugierde, die sie die Tür öffnen ließ. Einem Hotelzimmer ähnelte dieser Raum. Sie spürte, dass der Fremde die Einsamkeit und das Unterwegssein
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