Techno der Jaguare
liebte. Diese Sehnsüchte stillte er in der Hütte. Adna wurde klar, dass dieser Mann vor etwas davonlief.
Der Fremde drehte sich um. Mit einem Finger schob er seine Brille zurecht. Aufmerksam betrachtete er sie. Er schien verwirrt. Adna stockte der Atem. Sie erkannte ihn. Ohne Aufforderung ließ sie sich in einem breiten Sessel nieder.
***
Die Mutter zählte die Linien an ihren Augen. Gereizt sah sie Adna hinterher, die wieder einmal in ihre Einsamkeit eingebrochen war. Die Mutter war aufgeregt. Sie wartete.
Mit ihrem ganzen Wesen spürte Adna die Erwartung der Mutter. Sie dachte erst, sie bilde sich das ein, aber die Mutter zitterte, und das bestätigte dem Mädchen, dass etwas daran sein musste an ihrer Beobachtung.
Die Mutter unterrichtete viele Menschen in Französisch – sehr viele schöne, intelligente und nette Menschen. Bei keinem von ihnen hatte Adna sie so schüchtern und aufgewühlt gesehen. Adna begriff nicht, was los war. Was erhoffte sich die Mutter? Warum beschäftigten sie die Linien an ihren Augen? Was gefiel ihr nicht an ihr selbst?
Der Junge, auf den die Mutter wartete, war fast genauso alt wie Adna. Es war ein ganz gewöhnlicher Junge! Schüchtern starrte er mit gesenktem Kopf ständig auf seine Hände. Als stünde dort die Antwort auf Fragen, die niemand stellte. Adna wunderte sich. Der Vater war viel schöner, viel stärker, viel klarer. Und doch wartete die Mutter auf diesen Jungen. Auf den Jungen, mit dem sie niemals die »Grenze« überschreiten würde. Dieses »die Grenze nicht überschreiten« war Adna zuwider, sie beobachtete die beiden aus der Ferne. Die Mutter richtete es so ein, dass sie den Gast immer selbst empfing. Von da an reizte Adna der latent scharfe Geruch des Kaffees, der sich, wenn der Junge kam, im ganzen Haus breitmachte. Kaum merklich zitterten die Hände der Mutter. Und jedes Mal verschüttete sie etwas von dieser Plörre auf dem Weg zum Tisch. Die Mutter versuchte krampfhaft, die Tasse auf den Tisch zu stellen, ohne die Finger des Jungen zu berühren. Adna suchte Vorwände, in ihr Zimmer zu gehen. Und der Junge zog sich umso mehr zurück. Verkroch sich immer verzweifelter in die abgegriffenen Bücher. Für sein schlechtes Französisch hatte Adna nicht mehr als ein süffisantes Lächeln übrig.
Wenn der Junge ging, schloss die Mutter langsam hinter ihm die Tür. Stellte sie die Tassen vorsichtig in die Spüle. Ihre Finger zitterten noch immer. Sie spülte behutsam. Adna kam es vor, als liebkoste die Mutter die Tasse des Jungen. Das machte sie wütend. In Anwesenheit des Vaters zog sie über den Jungen her, machte sich über ihn lustig. Gnadenlos provozierte sie die Mutter, die ihre Tränen nur mit Mühe zurückhielt. Das Mädchen spürte, wie gerne die Mutter sie angeschrien, ihr eine Ohrfeige gegeben hätte! Selbstzufrieden und zynisch machte Adna weiter, ohne Erbarmen; mit einem Auge schielte sie auf die zitternden Schultern der Mutter.
Der Vater lächelte ironisch. Er reagierte nicht auf die Äußerungen des Mädchens. Er verhielt sich eigenartig, unterbrach Adna nicht. Er sah in die Ferne und murmelte leise ein paar französische Worte vor sich hin, die er vor Jahren von seiner Frau gelernt hatte.
***
In den Jahren verloren, nippte Adna an ihrem Tee. Der Mann starrte auf seine Finger. Offenbar suchte er dort noch immer die Antworten auf Fragen, vor denen er davonlief! Er hatte sich kein bisschen verändert – nur dass er ihr jetzt noch verschlossener erschien. Sie lächelte. In diesem Haus gab es offensichtlich keinen Kaffee. Adna wurde klar, wie widerwillig der höfliche Junge, verliebt wie er war – sie hätte nicht sagen können, ob in die französische Sprache oder in die Mutter –, vor Jahren diese Plörre getrunken hatte.
Sie stand auf. Sie spürte eine seltsame Befriedigung, hatte sie sich doch immer gewünscht, diesen Jungen wiederzusehen. Der Mann erkannte Adna nicht. Höflich verabschiedete er sich von der Fremden.
Aus dem Fenster beobachtete sie lange, wie sorgfältig er die Tasse spülte. Adna begriff! Sie begriff, dass die Französischlehrerin für den Jungen nur ein Weg gewesen war, sich selbst, seine eigene Wertigkeit zu erkennen; für die Mutter aber waren es Jahre, die sie irgendwie verpasst hatte. Adna vermisste ihre Mutter – ihr sanftes Lächeln, ihr wunderbares Französisch und die vielen Linien an den Augen.
Die Hütte der Zukunft
Schon aus der Ferne erfüllte die unförmige Hütte Adna mit Angst. Ihr lief es kalt den Rücken
Weitere Kostenlose Bücher