Tee macht tot
Menü und Erfrischungsgetränke, als Esther angesprochen wurde.
„Frau Friedrichsen“, bat dieser Geschäftsmann, als die damals 23-jährige Esther nervös an seinen Sitz trat, „bringen Sie mir doch bitte etwas Pfeffer und Salz zu meinem Tomatensaft.“
Überrascht hatte sie ihn angeblickt. Auf ihrem Namensschild stand eindeutig zu lesen, dass sie Fräulein Thalmeier hieß. Freundlich wies sie ihn darauf hin und erklärte ihm ebenso, dass Salz und Pfeffer bereits vor ihm stünden.
Verschmitzt lächelte er sie an und trank einen Schluck Tomatensaft, ohne ihn vorher zu würzen.
Verwirrt kümmerte sich Esther um die anderen Passagiere, die ihr zugeteilt waren. Sie servierte, wie in den Schulungen gelernt, mit freundlich lockerem Lächeln Saft oder Wasser.
Der Flug war bereits seit 30 Minuten reibungslos verlaufen, als der Herr aus Reihe 12 sie erneut ansprach. „Frau Friedrichsen“, sagte er abermals lächelnd, „wären sie so nett und würden mir ein Wasser bringen?“
Deswegen sei sie gerade hier, meinte sie und reichte ihm das Gewünschte. Der Mann mochte zwar gut aussehen, dachte sie bei sich, aber sein Verhalten war durchaus als sonderbar zu bezeichnen oder er war einfach sehr vergesslich, was sie jedoch nicht wirklich glaubte.
„Wissen Sie was, Frau Friedrichsen?“ Er betrachtete sein Wasser und legte überlegend den Kopf schief. Neckisch richtete er den Blick wieder auf sie. „Ich glaube, Saft wäre mir doch lieber.“
Immer noch freundlich, aber dennoch mit etwas Nachdruck, deutete sie abermals auf ihr Namensschild. Sie wandte sich um, um den gewünschten Saft zu holen. „Vielen Dank, Frau Friedrichsen“, bedankte er sich, was ihr kurzzeitig das perfekte Lächeln aus dem Gesicht wischte.
„Frl. Thalmeier“, zischte sie ihm wütend zu. Hektisch guckte sie sich um, ob ihren Unwillen womöglich jemand bemerkt hatte. Ein derart rüder Ton bei einem Gast hätte ihr die Entlassung eingebracht.
Daraufhin lächelte er sie noch breiter an und meinte, dass sie nicht mehr lange so heißen würde, da er gedachte, sie zu heiraten.
Man kann sich vorstellen, wie überrascht Esther war. Mit großen Augen und offenem Mund stierte sie ihn an.
Er nahm ihre Hand, hauchte einen zarten Kuss darauf und säuselte, dass er noch nie einer hübscheren Frau begegnet sei. Schon als er das Flugzeug bestiegen und sie bei der Begrüßung erblickt habe, hätte er beschlossen, niemals eine andere Frau zu heiraten, als sie. Er hätte in ihren schönen Augen gelesen, dass sie für die Ehe mit ihm bestimmt sei.
Schüchtern senkte Esther den Blick und schloss ihren Mund. Puterrot lief ihr Gesicht an, was ihre Kollegin der Offensichtlichkeit wegen dann doch mitbekam.
Immer noch hielt er ihre Hand in der seinen und fragte, ob sie sich das überlegen wolle.
„Ja, ja natürlich“, hatte sie verdutzt geflüstert und verschämt ihre Hand entzogen. Unversehens machte sie sich wieder an die Arbeit.
Sehr unkonzentriert sei Esther gewesen, beschwerte sich die Kollegin bei der Leitung, was Esther einen ordentlichen Rüffel einbrachte. Es sei ganz egal, was der Gast sage, tue oder wolle. Stets wäre die Antwort mit einem lächelndem Gesicht zu geben und die Konzentration beizubehalten.
Ein Jahr später hatte der Mann, der von sich so überzeugt gewesen war, sie zu seiner Frau gemacht. Ihre Eltern waren sehr, sehr enttäuscht von ihrer Tochter. Dass sie sich so schnell wegheiraten ließ, gefiel ihnen nicht. Aber nicht so sehr deswegen, weil sie Karl-Heinz Friedrichsen nicht mochten, sondern weil sie meinten, das Geld für ihre Ausbildung in den Sand gesetzt zu haben, denn mit der Hochzeit endete ihre Karriere als Stewardess. Höchstens 35 Jahre durfte man alt sein und unverheiratet.
Danach wurde sie nur noch für den Boden eingesetzt, was ihr ebenso wenig wie den Eltern gefiel, aber so war das eben damals.
Hätten sie das nur vorher geahnt, jammerten die Eltern, dann hätten sie ihre Tochter in eine Hauswirtschaftsschule geschickt. Das wäre bei Weitem billiger gewesen.
Gerne dachte Esther an die Zeiten in der Luft zurück. Mit einer Limousine wurde sie nach einem Flug ins Hotel gefahren, und der Aufenthalt wurde einem, bis zum Weiterflug, so angenehm wie möglich gestaltet. Wie man heute allerdings über Flugbegleiterinnen sprach, erboste sich Esther Friedrichsen, war doch eine regelrechte Schande. Niemals hätte damals jemand gewagt, Flugbegleiterinnen als „Saftschubsen“ zu bezeichnen. Unerhört! Überhaupt
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