Tee macht tot
Männer in Schwarz vor ihrer Tür standen.
Ingrid konnte sich das vorstellen.
Vor der Nase hatte sie den Männern in ihren dunklen Anzügen die Tür zugeknallt und mit zittriger, aber lautstarker Stimme, den Zutritt in ihre Wohnung verweigert. Ihr Karli war nicht tot, er schlief nur, wollte heute halt einfach lieber ausschlafen. Ihr Karli war nicht tot, er war nicht tot, er durfte es einfach nicht sein! Außerdem hatte sie einen Umzug geplant, da konnte er nicht einfach tot sein und sich so davor drücken.
Sanft, aber bestimmt hatte der Herr Doktor sie darum gebeten, doch endlich die Tür frei zu geben. Sie solle sich bitte beruhigen und die Männer ihre Arbeit tun lassen.
Esther weigerte sich jedoch beharrlich, auf das völlig schwachsinnige Ansinnen des Herrn Doktors einzugehen. Wütend schubste ihn auf die Seite und zog ihren Karli am Arm aus dem Bett.
Die Kraft, die sie dabei aufbrachte, erstaunte den Doktor ungemein, landete doch der arme tote Mann plumpsend auf dem Fußboden.
Danach standen sie erschrocken und stumm da und starrten auf den auf dem Boden liegenden Mann.
An der Tür klingelten abermals die Männer in ihren dunklen Anzügen und baten darum, ihre Arbeit verrichten zu können.
Da endlich erholte sich auch der Herr Doktor wieder von seinem Schreck und sah sich angesichts Esthers Gebaren dazu veranlasst, ihr eine Beruhigungsspritze zu verabreichen. Erst, als die Wirkung einsetzte, ließ sie endlich von der Tür ab und schaute den Herren vom Bestattungsunternehmen argwöhnisch dabei zu, wie sie ihren Karli in einen Sack steckten. Wäre sie nicht so lethargisch gewesen, hätte sie gerne die Schere geholt und ihren Mann wieder herausgeschnitten.
Er habe einen schönen Tod gehabt, tröstete der Herr Doktor sie. Friedlich und sanft sei er von dieser Welt entschlafen hatte er gemeint und dass das wohl eine der schönsten Todesarten sei.
Doch lange hatte Esther sich geweigert, das zu akzeptieren. Ihr Karli war nicht sanft entschlafen, dieser Mistkerl, hatte sich einfach aus dem Staub gemacht. Und unter diesen besonderen Umständen musste Esther Friedrichsen den Umzug nach St. Benedikta mit ihren 80 Jahren alleine antreten.
Sie erinnere sich noch genau an das Gefühl, als sie die gemeinsame Wohnung verließ. Nein, die erste Zeit hier war ganz und gar nicht leicht, doch nun, zwei Jahre und vier Monate später, war der Zorn auf ihren Karli schon lange verraucht. Esther Friedrichsen hatte den letzten Abschnitt ihres Lebens begonnen, nur eben ohne Karli.
„Was für eine rührende Geschichte!", fand Ingrid van Brekelkam und hielt Esthers Hand.
Danach saßen sie einige Zeit schweigend zusammen; jede ließ in Gedanken die Vergangenheit noch einmal aufleben.
13
Unbekümmert saßen die Senioren des dritten Stockes beim mittwöchlichen Teeabend zusammen. Wie gewohnt, ging es lustig zu.
Ingrid van Brekelkam, die auf Esthers Einladung hin ebenfalls teilnahm, fand ihre neuen Nachbarn ebenso reizend, wie diese sie. Freundschaftlich unterhielt man sich, bis Esther Friedrichsen mit ihrem Löffel an ihre Teetasse klopfte.
Nach und nach kehrte selbst bei den Schwatzhaftesten unter ihnen Ruhe ein. Gemütlich lehnte sich die Teegesellschaft in ihren Polstern zurück und hörte Esther bei ihren Ausführungen über Wacholder zu.
Wer unter Mundgeruch leide, dem helfe Wacholder, hob Esther die Vorzüge dieser Beere hervor. Nicht, dass man es brauchen würde, aber dennoch nahm jeder einen großen Schluck aus seiner Tasse. Weiter schrieb Esther Wacholder eine beruhigende Wirkung bei Gereiztheit zu, ebenfalls sei er wirksam bei Rheuma, Gicht und Arthritis. Sie selbst trinke den Tee regelmäßig, was ihre Arthrose sehr gut erträglich mache. Lieber ein Tee als Diät! Sie alle schätzten Esthers Wissen um Kräuter und deren Wirkstoffe.
Esther stellte immer neue köstliche Mischungen vor, und sollte einen von ihnen gerade ein Zipperlein plagen, brachte sie auch hierfür passende Kräuter mit.
Angeregt unterhielten sich die Senioren über die kleinen alltäglichen Probleme, die man so in einem Altenheim nun mal hatte. Mache lästerten ihre Sorgen einfach weg, andere kicherten sie einfach weg. Man durfte sich nur nicht allzu sehr davon beeinflussen lassen. Das Leben war einfach zu kurz dafür, wie man beißend feststellte.
Ingrid war sehr interessiert an Esthers Kräutern, plagte sie doch des Öfteren Magendrücken.
Esther empfahl ihr ein bis zwei Tassen Wermuttee pro Tag, den sie in
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