Tee macht tot
spielte Karte um Karte aus. Trotz der Schwärze ihres Lebens sei sie jedoch immer wieder aufgestanden, betonte Ingrid, was natürlich mental gemeint sei. Wegen der Beine war das schwerlich körperlich möglich.
Eines Tages jedoch, Ingrid erinnerte sich, es sei die dritte Woche nach der Geburt ihres Enkels gewesen, kam sie auf die Idee, die Spielkarten kurzerhand einer anderen Person in die Hand zu drücken. Es wäre wie bei einem echten Kartenspiel, hatte man keine Lust mehr, das Spiel weiterzuführen, bitte man einfach jemanden darum, das Spiel für einen zu beenden. Und es hatte funktioniert. Sie hatte dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen. Von sich in der dritten Person zu sprechen, machte es also a) leichter, die Düsterheit mit Distanz zu sehen, und b) blieb sie vor weiteren Schicksalsschlägen verschont. So wurde Ingrid van Brekelkam Oma des ersten männlichen Nachfahrens, der nicht vor seiner Hochzeit unter die Räder kam.
Esther Friedrichsen gratulierte ihr zu dem Enkel und zu dem gelungenen Coup. Ein Meisterstreich, dem sie nun gerne einen Tee spendieren würde. Etwas ungelenk, hievte sich Esther aus ihrem Sessel und suchte in ihrer zum Bersten gefüllten Teekommode eine geeignete Mischung heraus. Lavendel, Melisse und Pfefferminze waren ihrer Meinung nach passend, um den Abend, inzwischen waren viele Stunden verstrichen, entspannend zu gestalten und die Gemüter nicht unnötig vor dem Schlafengehen zu erregen.
Ingrid van Brekelkam bedankte sich für die köstliche Mischung und schilderte den Rest ihrer Geschichte.
Mit 80 Jahren beschloss sie, für Ingrid van Brekelkam, nach längerem Suchen, einen Platz in St. Benedikta anzumieten. So meinte sie, ihren letzten Lebensabschnitt ohne weitere Vorfälle genießen zu können. Sie leistete sich den Luxus eines Doppelappartements und brachte vier ihrer eigenen exquisiten Möbelstücke mit.
Die meisten der Räume sahen zwar prinzipiell gleich aus und waren voll eingerichtet, aber es gab eben auch Appartements, in denen Senioren vier ihrer eigenen Möbel aufstellen konnten. So eines hatte sie für Ingrid van Brekelkam ausgesucht. Dass vorher jemand sterben musste, damit sie dieses Zimmer bekam, täte ihr zwar leid, aber das sei nun mal der Lauf der Dinge.
Das sah Esther Friedrichsen ganz genauso. Kurz überlegte sie, ob sie erzählen sollte, unter welchen Umständen die Loibl das Zimmer freigemacht hatte, behielt es aber doch für sich, es gab sicherlich noch Gelegenheit genug zum Reden.
Warum Herr Rohrasch, der Heimleiter, nur vier eigene Möbelstücke billigte, hatte Ingrid van Brekelkam in der Hausordnung nachgelesen. Dort stand geschrieben, dass im Falle eines Sturzes der Senioren anzunehmen ist, dass das Verletzungsrisiko erheblich minimiert werden konnte.
Übersetzt für die Menschen, deren Gehirnwindungen nicht mit denen von Herrn Rohrasch in Einklang zu bringen waren, bedeutete dies Folgendes: Sollte ein Senior hinfallen, tat er sich weniger weh. Außerdem war zu lesen, dass ein zu vollgestelltes Zimmer, sich a) negativ auf die Psyche auswirken kann, b) das Messisyndrom fördern würde und c)müsse für eventuell benötigte medizinische Geräte ausreichend Platz zur Verfügung stehen.
Nach langem Überlegen entschied sich Ingrid van Brekelkam deshalb für ihre Echtholzkirschbaumkommode, ihren Echtholzkirschbaumtisch mit vier ebensolchen Stühlen und einen Echtholzkirschbaumschrank. Nur das Bett tanzte etwas aus der Reihe, denn in ihrem neuen Schlafzimmer bestand alles aus Echtholznussbaum. Und so fanden Kirschbaum und Nussbaum im Seniorenheim zueinander.
Esther hielt ihre Entscheidung für sehr klug, denn schließlich stünden in der Natur Nuss und Kirsche auch in friedlicher Eintracht beieinander.
Auf Ingrid van Brekelkams Schoß regte sich wieder ihr kleiner Malteser Krambambuli. Nachdem er eine andere, passendere Position eingenommen hatte, rollte er sich abermals zusammen, um seinen 23-Stundenschlaf fortzuführen. Ohne ihn, betonte Ingrid, hätte sie sich nicht für St. Benedikta entschieden. Tierhaltung war schließlich nicht überall erlaubt.
Als Ingrid van Brekelkam nun mit ihrem Hündchen auf dem Schoß ihre Lebensgeschichte beendete, waren sich die zwei Damen einig, dass sie sich gut verstanden und ihre Bekanntschaft durchaus Chancen auf eine Freundschaft bis zum Lebensende hatte. Aus diesem Grunde tranken sie noch einen kleinen Kümmelschnaps.
Ingrid van Brekelkam fragte, ob es nicht besser wäre, noch einen auf die
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