Tee macht tot
eine gute Idee war und lobte den Teamgeist von Ingrid. Die Vorfreude ihrer Freundin musste sie allerdings etwas eindämmen. Zum einen konnte der Donnerstagstee nicht an einem Freitag ausgeschenkt werden; außerdem fand am Abend der wöchentliche Gipskurs im Keller statt. Den durfte sie unter gar keinen Umständen verpassen, da für den kommenden Seniorenbazar noch so einiges zu tun sei. Am nächsten Donnerstag wäre jedoch die Zeit, um in Zimmer 9 zu gehen.
So wurde am vereinbarten Abend der Auszug von Ernesto Padaro unterstützt und am darauffolgenden Tag unter großer Anteilnahme der Tod des Herrn aus Zimmer 9 festgestellt. Der Arzt schrieb als Todesursache plötzliches Herzversagen in den Totenschein.
Balthasar Sebastian Rohrasch trug mit Bedauern dessen Tod in seine Statistik und machte sich Sorgen.
Ingrid und Esther waren gespannt, welch Neuzugang das Zimmer beziehen sollte. Vielleicht sogar zwei, war es doch ebenfalls ein Doppelappartement das Zimmer 9.
Tage später ließen die ersten Sonnenstrahlen dieses Jahres nicht nur die ersten kleinen Pflänzchen aus dem Boden sprießen, sondern trieb auch die Senioren aus dem Haus. Durch das geöffnete Fenster war das Vogelgezwitscher in voller Lautstärke zu vernehmen. Fast hätte man meinen können, dass man sich inmitten des Vogelbauers einer Zoohandlung befand.
Esther Friedrichsen störte dies jedoch nicht, im Gegenteil, es erfreute ihr Herz. Wie hätte es sie auch stören können, wo sie doch so naturverbunden war. Dank des Hochdruckgebietes über Mitteleuropa war der Frühling in diesem März schon voll in Gange; der Himmel war blau, die Temperaturen waren bereits auf 18 Grad angestiegen.
Die Praktikantinnen hatten auf Anweisung des Heimleiters Balthasar Sebastian Rohrasch Kissen auf den Parkbänken verteilt, was die Senioren von St. Benedikta dazu ermutigte, sich die nächsten Stunden unbeweglich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Man konnte über diesen seltsamen Kauz von Heimleiter sagen, was man wollte, aber den Leutchen in seiner Einrichtung fehlte es an nichts. Er tat viel, um die Verweildauer jedes Einzelnen so lange wie möglich zu verlängern. Den Ruf, St. Benedikta wäre ein Seniorenheim mit Lebensfreude, hatte es zurecht.
Esther Friedrichsen glaubte, ein bekanntes Gesicht auf einer der Parkbänke zu erkennen. Mit einem Griff in ihre rechte Rocktasche holte sie ein Etui heraus und fingerte sich die Brille auf die Nase, um besser sehen zu können.
Die langsame Gerda, die Esthers Korpulenz zu schlagen vermochte, ließ sich gerade ihr zweites Frühstück in der Idylle des Parks schmecken.
Esther beschloss, bevor sie sich zum Treffpunkt für den Gemeinschaftstag aufmachte, noch einen Abstecher in den Park zu unternehmen, um ein kurzes Pläuschchen zu halten. Gerade wollte sie das Fenster schließen, als ein kleiner Vogel ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Mehrmals war dieser Piepmatz schon an ihrem Fenster vorbeigeflogen. Hin und her. Jedes Mal mit kleinen Ästen, Gräsern und allerlei Baumaterial für sein Nestchen im Schnabel.
Esther Friedrichsen folgte ihm mit ihrem Blicken, konnte aber die künftige Kinderstätte nicht ausmachen.
„Piep, piep, piep, piep“, zwitscherte sie und warf einige Brotkrumen hinaus, um noch mehr dieser bezaubernden Geschöpfe anzuziehen. Erheitert sah sie ihnen dabei zu, wie sie sich um die paar Krumen stritten. Vielleicht sollte sie sich doch ein Vögelchen anschaffen, überlegte sie. Doch andererseits, was wäre, wenn dieser kleine Flattermann den Drang verspüren würde, hinauszufliegen? Hinaus zu seinen Freunden? Oder was wäre, wenn ihm vor Einsamkeit das Herz brach und er einfach vom Stangerl fiel? So ein Tod wäre für jedes Geschöpf dieser Welt äußerst tragisch.
Seufzend beschloss Esther Friedrichsen, dass dies noch reiflicher Überlegung bedürfe. Aber nicht jetzt! Heute war der erste Montag im Monat April, und da war sie immer unterwegs zu einem Einkaufsbummel in die Stadt.
Auch wenn Esther Friedrichsen die Frühling- und Sommermonate gerne dafür nutzte, um sich viele ihrer Kräuter selbst zu pflücken, nahm sie den regelmäßigen Ausflugstag wahr, um auch den Winter über gut mit Heilpflanzen eingedeckt zu sein. Und fand sie ein bestimmtes Kraut weder im hauseigenen Kräutergarten noch auf der angrenzenden Wiese hinter dem Seniorenheim, war dieser Tag ebenfalls praktisch. Da ihr Vorrat an K wie Kümmel zur Neige gegangen war, wollte sie ihren Kräuterladen aufsuchen.
Die Inhaberin
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