Tee macht tot
Liebe.
Viele glückliche Ehejahre, 2.987 Liebesbriefe und einen Umzug von Hamburg nach München später machte der Umstand, dass die Gesundheit nicht mehr das war, was sie früher einmal war, einen weiteren Umzug vonnöten. Während Reinhold seine Schwerhörigkeit mit einem Hörgerät gut im Griff hatte, irrte Frieda Paulsen wiederholt verwirrt durch Münchner Straßen. Das mit den Richtungen machte ihr mehr und mehr zu schaffen. Fortwährend vergaß die kleine dünne Frieda, was oben und unten, rechts oder links, hinten oder vorne war.
So passierte es auch immer wieder, dass Frieda, aus wer weiß welchen Gründen, die Kellertreppe hinabspazierte und nicht mehr den Weg nach oben fand. Oft genug saß sie eine Stunde oder länger geduldig da unten auf einem Stuhl und wartete darauf, dass Reinhold sie holen kam.
Und das tat er immer. Darauf konnte sie sich verlassen, denn Reinhold war ihr bis zum heutigen Tag stets ein guter Mann gewesen.
So entschieden sich Reinhold und Frieda Paulsen, ihre letzte Lebensreise anzutreten. Das Domizil S t. Benedikta sollte es werden.
16
Weitere vier Wochen später, die zehnjährige Führung seines Hauses war mit einem Tag der offenen Tür gefeiert worden, stand ein weiterer feierlicher Termin an. Den Leutchen in St. Benedikta ging es wie immer prima, und für Balthasar Sebastian Rohrasch begann ein wunderbarer Tag.
Der strahlende Sonnenschein hatte die Stimmung aufgelockert und für gute Laune gesorgt. Den ganzen Tag über lächelte er vor sich und legte, wie gewohnt, Statistiken an. Am späten Nachmittag war es soweit: Er setzte sich in sein Auto und machte sich auf dem Weg zum Starnberger Rathaus.
Balthasar Sebastian Rohrasch hatte ein verzücktes Lächeln im Gesicht, als er die Auszeichnung erhielt, für die er zwölf Monate hart gearbeitet hatte.
Die geladenen Gäste applaudierten artig, während er die Ehrung in die Kamera hielt. Der Kameramann des Bayerischen Rundfunks zoomte ihn in Großaufnahme, die Sprecherin schwafelte etwas von einem der besten Seniorenheime der Region.
Das kurze Einfallen seines Lächelns ging im Blitzlichtgewitter unter. Er betrieb doch nicht nur eines der besten Seniorenheime, er betrieb das Beste. Das verriet bereits der Titel dieser Ehrung. Das Beste, das Beste, das Beste, Herrgott nochmal!
Wie auch schon die Jahre zuvor hatte auch diesmal wieder St. Benedikta gesiegt. Im Hinblick auf die bundesdeutsche Statistik hatte er die durchschnittliche Todesrate um zwölf Prozentpunkte unterschreiten können. Seit seiner Übernahme tat er wirklich viel, um St. Benedikta zu einem schönen Ort zu machen, und das hatte für seine Senioren, für die Privatinvestoren als auch für ihn zu einer Win-win-Situation geführt.
Er hatte zwar fest damit gerechnet, dass es in diesem Jahr dreizehn Prozent werden würden, da er aber in diesen Winter zwei Abgänge mehr zu verzeichnen hatte, war es bei zwölf Prozent geblieben. Dezember bis Februar waren einfach die gefährlichsten Monate für Senioren, deshalb waren ihm auch drei im dritten Stock, einer im ersten und eine im zweiten Stock verstorben. Das mangelnde Sonnenlicht schlug sich gerne mal auf das Gemüt nieder, was wiederum die körperliche Abwehr angriff. Außerdem bewegten sich Menschen generell im Winter weniger als im Sommer, weswegen bereits bestehende Herzkrankheiten und Brustschmerzen öfter mal in Herzinfarkt, Herzversagen oder einen Schlaganfall mündeten. Das Sportzimmer, das er deswegen hatte einrichten lassen, war in diesen Monaten zu einem allgemein beliebten Treffpunkt für seine Leutchen geworden. Ein leichtes Cardiotraining, ein Pläuschchen mit Freunden und der sonnig gestrichene Raum wirkten sehr wohltuend.
Aber ob nun zwölf oder dreizehn, gewonnen hätte er auch mit elf Prozent.
Auf die Fragen der Presse, wie er es schaffe, dass seine Senioren eine so lange Zeit in seinem Haus (über)-lebten, antwortete er professionell und bemüht. Es läge wohl daran, dass er immer ein offenes Ohr für seine Senioren habe, dass er mehr Individualität in die Freizeitmöglichkeiten stecke als andere und dass er allem voran immer auch das psychische Wohl im Auge behalte. „Ist der Geist nicht im Einklang mit dem Körper, ist der Verfall des gesamten menschlichen Organismus nur noch eine Frage der Zeit“, erklärte er dem neugierigen Reporter. Außerdem konnte er auf sein bestens geschultes Pflegepersonal verweisen und die besonders schöne Atmosphäre in St. Benedikta
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