Tee macht tot
Wechsel half, die Reibereien um die wertvollen Sitzplätze in Grenzen zu halten. Mit zweiminütiger Verspätung, auf die die Senioren lautstark den armen Busfahrer hinwiesen, konnte der Ausflug beginnen. Drei Stunden hatten sie nun zur Verfügung, um ihren Beinen anderen Boden zu gönnen und Erledigungen zu machen.
Hatte der Rohrasch gedacht, dass alle wieder pünktlich am Wartehäuschen standen, so irrte er sich gewaltig. Letztendlich kamen am ersten Versuchstag prompt nur die Hälfte der Insassen zurück. Der Linienbusfahrer wollte partout nicht warten, bis alle Senioren vollzählig wieder in dem Bus nach St. Benedikta saßen.
Aufgrund dessen beschloss der Heimleiter Balthasar Sebastian Rohrasch, einen Teil der privaten Investitionen der Privatinvestoren in einen kleinen Bus zu stecken. Nun konnte die Reise in die Stadt seiner Ansicht nach gefahrlos beginnen.
Nach Ankunft in Starnberg Stadt schwärmten regelmäßig an die zwanzig, manchmal auch mehr, Senioren übermütig wie Teenager aus, um die Läden unsicher zu machen. Danach fielen sie wie Heuschrecken in den umliegenden Cafés ein und bestellten ihr Rentnerset, das viele der Inhaber eigens für den monatlich anstehenden Andrang entwickelt hatten. Zur kleinen Tasse entkoffeinierten Kaffee oder Tee gab es ein kleines Wasser und ein noch kleineres Stück Obstkuchen.
Die größte Herausforderung dieses besonderen Tages kam jedoch erst. Denn bis alle Senioren wieder auf ihren Plätzen abgezählt im Bus saßen, konnte wieder geraume Zeit vergehen, gab es doch immer wieder einmal einen Schlawiner, der es mit der Zeit nicht so genau nahm. Und so machten sich zwanzig, manchmal auch mehr, Senioren erneut auf den Weg, um diesen einen zu suchen.
Jeden ersten Montag im Monat fiel der Heimleiter Balthasar Sebastian Rohrasch samt seinen Senioren abends todmüde ins Bett und nahm sich vor, dass dies wirklich das letzte Mal gewesen sei. Aber der Senior an sich ist ein Gewohnheitstier, und an was man ihn erst einmal gewöhnt hatte, ließ sich schwer wieder rückgängig machen. Und so würde es den nächsten Einkaufsbummel am nächsten ersten Montag im Monat auch wieder geben, den sich Esther Friedrichsen auf keinen Fall entgehen lassen würde.
15
Gemeinsam mit den Paulsens und Ingrid van Brekelkam saß Esther in ihrem Zimmer und schenkte der Verdauung wegen ihren Kümmelschnaps aus. Wie schon bei Ingrid fand Esther bei den Paulsens auch, dass diese Bekanntschaft durchaus Chancen auf eine Freundschaft bis zum Lebensende hatte. Bis in den späten Abend, es mochte schon 22:00 Uhr gewesen sein, erzählte das reizende Ehepaar von ihrem Leben, denn einfach hatten auch sie es nicht.
Die zarten Bande der Liebe waren, unter den Bedingungen, die in ihrer Jugend herrschten, einer harten Zerreißprobe ausgesetzt gewesen. Vieles war vielleicht besser, aber so manches auch seltsam anders. Und etwas seltsam war es, dass Frieda, geborene Waldmannstetter, mit ihren 24 Jahren noch immer daheim bei ihren Eltern in einem kleinen Dorf nahe Hamburg wohnte. Waren die Zeiten ohnehin schon schwer genug, konnte ein Elternpaar es sich wahrlich nicht leisten, ein erwachsenes Kind unter ihrem Dache zu haben. Und außerdem, man stelle sich nur das Gerede der Nachbarn vor! Doch es half kein Jammern, denn dass ihre Frieda es nicht leicht haben würde, war für die Eltern schon früh erkennbar gewesen. Frieda war einfach viel zu klein, viel zu dünn und obendrein nicht einmal hübsch. Ihre Wangenknochen lagen viel zu hoch, die Augen viel zu tief, und ihr Haar hatte die Farbe eines Straßenköters, wie ihre Mutter sagte. Regelmäßige Friseurbesuche wurden für Frieda ein unvermeidliches Übel.
Den Mahlzeiten mischte ihre Mutter immer eine Portion Schmalz bei, was jedoch keinerlei Erfolg brachte. An Frieda wuchs und wuchs einfach nichts dran. Von allein würde sicherlich kein heiratswilliger Jüngling um die Hand ihrer Tochter anhalten, also beschlossen sie, dem Ganzen noch etwas mehr nachzuhelfen. Sie schickten ihre Frieda in die Tanzschule in der Hoffnung, dass ihr Tanzpartner schon merken würde, was für eine nettes Mädchen ihre Frieda war.
Aber dem war nicht so; so neigte sich der Tanzkurs ohne den gewünschten Erfolg seinem Ende zu; ihre Frieda lebte weiterhin unter ihrem Dach.
Doch so leicht wollten die Waldmannstetters auch nicht die Flinte ins Korn werfen. Beharrlichkeit sei eine Tugend, sagten sie immer. Man müsse diese Tugend nur beharrlich genug ausüben,
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