Tee macht tot
immer noch selbst entscheiden, ob und wieweit ein Sühnegebet angebracht sei, und zweitens werde nicht mit Gott verhandelt und es würden auch keine Gebetskredite vergeben.
Das traf Esther.
Doch der Herr Pfarrer blieb dabei. Das sei nicht verhandelbar, und nach ewigem Hin und Her riss ihm endgültig der Geduldsfaden. Mit einem leicht scharfen Unterton entließ er Esther mit dem Abschlussgebet: „Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenkt er dir Verzeihung und Frieden, und so spreche ich dich von deinen Sünden los.“
Das konnte Esther aber so nicht stehen lassen, denn wie könne er sie von Sünden lossprechen, wenn sie doch seiner Meinung keine begangen hatte?
Also sprach der Geistliche ein anderes Gebet und trat schnell aus seinem Beichtstuhl heraus.
Drei Tage später wurde Frau Weber a uf dem Friedhof gegenüber zu Grabe getragen; der Herr Pfarrer las eine wunderbare Andacht.
Esther, Frieda, Ingrid und Reinhold gaben ihr, frei von all er Schuld, das letzte Geleit.
25
Der Anruf, dass in St. Benedikta jemand verstorben sei, kam genau zur rechten Zeit. Ben hatte Glücksgefühle, Agatha Mordgedanken.
„Jetzt sei nicht so bockig!“, fuhr Ben seine Mutter an, die sich in ihrem Schlafzimmer eingesperrt hatte. „Du bist selbst daran schuld, und jetzt mach die Tür auf! Mutter! Mutter, hörst du?“
Agatha hörte nicht, weil sie auch gar nicht hören wollte. Soll er doch zur Hölle fahren, dachte sie sich, der Sohn des nichtsnutzigen Halunken, den sie einmal geheiratet hatte.
Die ganze Fahrt über hielt sie den Blick aus dem Seitenfenster gerichtet. Verärgert über ihren Sohn, sagte sie kein Wort. Ihre Jugend hatte sie in einer Wäscherei vergeudet, sich den Rücken kaputt gearbeitet, die Hände in Laugen gesteckt, mit zahlreichen Brandblasen versehen, und was war der Dank? Ihr undankbarer Sohn schob sie mir nichts dir nichts einfach in ein Altenheim ab.
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Währenddessen fand ein Informationstag, den Balthasar Sebastian Rohrasch im Aushang des Erdgeschosses bekanntgemacht hatte, statt. Zu einem Zeitpunkt, den der Senior an sich lieber bei Kaffee und Kuchen verbrachte oder sich den nachmittäglichen Tagesthemen widmete. Die meisten sahen sich die Nachrichten zweimal am Tag an, da dosierte Informationsaufnahme leichter zu verkraften war. Die Entscheidung lag also darauf, das Weltgeschehen zu verfolgen, Kuchen zu genießen oder die künftig anstehenden Veränderungen bei den Mahlzeiten zu erfahren.
Gut die Hälfte entschied sich, das Weltgeschehen zu verfolgen, während die andere Hälfte samt Kuchenteller sich die Abwechslung eines Vortrages gönnen wollte.
Esther beschloss, sich Ingrid van Brekelkam anzuschließen, die von jeher nicht so recht an dem Weltgeschehen interessiert war.
In einem langen Vortrag wurde über die Gefährlichkeit von Salz auf Herz und Cholesterin referiert.
„Salz“, begann der zu diesem Zweck geladene Prof. Dr. Forster von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin seinen Vortrag, „Salz ist ein wichtiger Bestandteil für unseren menschlichen Organismus. Ohne Salz kann ein Mensch nicht überleben, aber, meine Damen und Herren, aber …“
Esther kramte ihr Strickzeug hervor und zählte leise die Maschen.
„… wir alle nehmen viel zu viel von diesem notwendigen Gewürz zu uns. Und wie schon Paracelsus sagte, Dosis sola venenum facit, die Dosis macht das Gift.“
Aufmerksam geworden, ließ Esther ihre Stricknadeln sinken und blickte nach oben. Ja, dachte sie sich, der Paracelsus war schon ein kluger Mann gewesen; sie nahm wieder ihre Stricknadeln und zählte die Maschen noch einmal. Die nächste Stunde brachten die Seniorinnen damit zu, sich ihren Strick-, Stick- und Häckelsachen zu widmen, und die Senioren lasen in der Zeitung oder unterhielten sich angeregt.
Am Ende des Vortrages, Esther Friedrichsen hatte nicht allzu viel davon mitbekommen, verkündete der Redner, dass Herr Rohrasch sich sehr vorbildlich dazu entschlossen habe, die überhöhte Aufnahme von Salz durch eine salzärmere Ernährung zu ersetzen. Krankhafte Herz-Kreislauf-Leiden galt es, zu vermindern.
Kaum die letzten Worte ausgesprochen, griffen unzählige alte Hände nach dem Gedeck in der Mitte des Tisches. Salz würde ab sofort zur Mangelware werde, deshalb musste man sich sogleich sichern, was
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