Tee macht tot
sie nicht darum bitten, weiß sie doch nicht um den Tee.“ Ingrid van Brekelkam huschte ein Lächeln über die Lippen. Tot konnte sie sich Agatha gut vorstellen.
„Das sollte sie auch nicht wissen“, warf Reinhold ein. „Agatha ist im Stande und erzählt es dem Rohrasch.“
Wieder wackelten alle mit ihren Köpfen zur Bestätigung. Nicht auszudenken, wenn der Rohrasch um das kleine Geheimnis wüsste. Dann müssten sie alle zusammen auf ihren Auszug so lange warten, bis man seine, von ihm vorgeschriebenen, Jahre zusammenhatte.
„Außerdem“, gab Reinhold weiter zu bedenken, „haben solche bösen Menschen wie Agatha meist ein langes Leben vor sich. Mit Agatha im Nacken wird das mit unserem ruhigen Lebensabend sicherlich nichts mehr.“
Ja, da war was dran, stimmte die kleine Frieda ihrem Mann ganz und gar zu. Wie zur Bekräftigung legte sie ihre kleine Hand in die Seine. Beeindruckt über so viel Klugheit, guckte sie ihn an, während den anderen bei diesem Gedanken ein Schauer über den Rücken lief.
Eingesunken und mit den Nerven am Ende, schluchzte Hildegard: „Wenn Agatha keinen Tee bekommt, werde ich einen trinken. Ich bin einfach zu alt, um diesen Druck weiterhin auszuhalten.“
Über diese Aussage tief betroffen, atmete Esther schwer aus. Doch so sehr sie auch Hildegards Ängste verstand und Agathas Verhalten verurteilte, bat sie jedoch, ihre Entscheidung zu respektieren. Sie sei nicht gewillt, Schuld auf sich zu laden.
Große Enttäuschung war auf den Gesichtern der Senioren zu lesen.
Esther hatte Mühe, sich weiter auf die Zubereitung des Tees zu konzentrieren. Prüfend kontrollierte sie die Tassen, ob sich darin nun schon die Melisse befand. Da dem nicht so war, was bei diesem Durcheinander heute auch nicht verwunderlich war, holte sie dies nun nach und goss die Tassen mit heißem Wasser auf. In zehn Minuten wäre der Aufguss fertig. Esther hoffte, dass ihre Mischung die erhitzten Gemüter beruhigen würde.
Nachdem jeder seine Tasse gereicht bekam, hing man einige Zeit seinen Gedanken nach. Hin und wieder nahm jemand schlürfend einen Schluck Tee zu sich und ließ dabei den Blick abwartend im Kreis wandern. Einig war man sich, dass man dem Tun, oder besser gesagt, dem Nichtstun von Agatha Einhalt gebieten musste. Die Frage war nur, wie?
Ingrid förderte eine Idee zutage: „Sie hat einen Plan!“, rief sie unvermittelt aus.
Alle Augen waren auf sie gerichtet, dann steckten die Senioren ihre Köpfe zusammen und lauschten Ingrids Vorschlag. Einer nach dem anderen grinste.
„Deine böse Gedanken sind erschreckend, aber es könnte funktioniere n“, meinte Esther beeindruckt.
28
Am nächsten Morgen, es war traumhaftes Wetter, begaben sich die Senioren des dritten Stockes wie gewohnt in den Speisesaal des Erdgeschosses, um sich ihr Frühstück schmecken zu lassen. Der Tag würde anstrengend werden, eine gute Grundlage war daher umso wichtiger.
Agatha saß auf ihrer Türschwelle und starte mit mürrischer Miene vor sich hin. Es war also alles wie immer.
Niemand sprach mit ihr, einige senkten ängstlich ihren Kopf, als sie an ihr vorbeischlurften.
Besonders auf Hildegard ließ Agatha wieder ihren Blick lange haften.
Mit eingezogenen Schultern konnte sie ein Aufschluchzen nicht verhindern, weshalb Esther einen Arm um sie legte.
Dennoch bemerkte Agatha eine gewisse Veränderung an der ganzen Situation.
Dass alle Senioren nach dem Frühstück sofort in ihre Zimmer verschwanden, war ungewöhnlich. Niemand ging seinen sonstigen Gewohnheiten nach. Selbst Reinholds morgendlicher Spaziergang mit Frieda, damit seine Verdauung in Schwung kam, blieb aus.
Stattdessen beobachtete Agatha etwas anderes.
Es dauerte einige Zeit, vielleicht zwei, vielleicht auch drei Minuten, als Esthers Tür aufging. Mit beiden Händen umklammert, hob sie angestrengt einen Stuhl aus ihrem Zimmer und stellte ihn vor ihrer Tür im Gang ab.
Zu Agathas Verblüffung folgten ihrem Beispiel Zimmer 1–22. Bald saß der gesamte dritte Stock im Flur.
Frieda, der die ganze Sache nicht wirklich geheuer war, legte ihre zittrige und schwitzige Hand auf Reinholds ruhige warme Hand.
Bei den Teiflers war es genau umgekehrt. Sorgsam hielt Herr Teifler die Hände seiner Frau gefangen, auf dass sie nicht wieder mit ihren Spuckefingern an ihm herumfummelte.
Ingrid van Brekelkam saß erhobenen Hauptes mit ihrem Hut auf dem Kopf, ihrem Hund auf dem Schoß, in ihrem Rollstuhl und ließ ihren Blick arrogant zu Agatha
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