Tee macht tot
ihr Herz ebenfalls einen Riss bekommen hatte.
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Und während die Trauergesellschaft Frieda gedachte, erhob sich die fiese Agatha, die den Traufeierlichkeiten nicht beiwohnte, von ihrem Stuhl und ging auf Entdeckungstour.
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Im Speisesaal war die Tafel für die Trauernden gedeckt. Bis auf drei hatten sich alle schon niedergelassen und warteten auf den Hinterbliebenen. Doch mit gekrümmten Rücken, unter der Last seinen liebsten Menschen verloren zu haben, weigerte sich Reinhold, an der Tafel Platz zu nehmen. Sollen die Trauernden im Speisesaal alleine trauern. Er wollte in die Ruhe seines Zimmer. Seines und Friedas Zimmer. Niemanden wollte er bei sich haben, auch nicht seine Freundinnen Esther und Ingrid. Morgen wäre ein Tag, um mit ihnen in Ruhe zu reden, aber heute wollte er sich einzig seiner Trauer hingeben.
Deswegen, und weil der Tag viel Kraft gekostet hatte, zogen sich Esther und Ingrid, jede für sich, ebenfalls in ihre Zimmer zurück.
Während Ingrid bereits hinter ihrer Tür verschwunden war, blieb Esther ratlos in der offenen Tür ihres Zimmer stehen. Es bedurfte keines zweiten Blickes: Sie erkannte es auf den ersten Blick. Jemand war nicht nur in ihrem Zimmer gewesen, sondern auch an ihrem Teeschrank. Ohne die Türe hinter sich geschlossen zu haben, stand sie fassungslos davor.
K wie Kamille hatte seine Position zu M wie Mutterkraut gewechselt. Und das hatte es ganz bestimmt nicht von alleine. Was Esther ebenfalls auf den ersten Blick auffiel, war, dass einige ihrer Kräuter auch innerhalb des Glases ihre Positionen gewechselt hatten.
Esther Friedrichsen setzte sich ihre Brille auf und hob sich ein Glas vor ihre Augen. Oh, wie ihr die Galle hochstieg! Sie konnte sich nicht erinnern, in ihrem Leben schon je so ärgerlich geworden zu sein. In dem Glas bildeten Hopfen und Melisse ein Duett, das an sich nicht so verkehrt war, wäre diesem Glas nicht auch noch das Mukunu Wenna Kraut beigemischt worden. Diesem Kraut durfte nichts beigemischt werden, wie sonst würde es seine Wirkung in Gänze entfalten können, wenn einen die Migräne plagte.
Langsam senkte Esther Friedrichsen wieder das Glas und ließ sich schwer auf ihre Couch sinken. Sie dachte an Frieda, an Reinhold, an das Chaos in ihrem Schrank. Es war alles so entsetzlich. Es würde dauern, Frieda nicht mehr zu vermissen, es würde dauern, Reinhold über den Schmerz hinweg zu helfen, es würde dauern, dieses Durcheinander in ihren Kräutern wieder in Ordnung zu bringen. Nichts war mehr so, wie es war. Esther liefen die Tränen. Ihr bisher geregeltes Leben war völlig aus den Fugen geraten. Was in aller Welt ging hier vor? Angestrengt ließ Esther Friedrichsen den Tag Revue passieren.
Am Morgen war sie zum Frühstück gegangen, hatte ihre zwei Aprikosenmarmeladensemmeln verspeist und den laustarken Unterhaltungen gelauscht, an dessen Inhalt sie sich jedoch jetzt kaum mehr erinnern konnte.
Reinhold war nicht im Speisesaal im Erdgeschoss erschienen. Er hätte keinen Hunger, sagte er, als sie ihn bat, sie zu begleiten. Die Trauer stecke ihm wie ein Kloß im Hals.
Ingrid van Brekelkam hatte sich zwar am Frühstückstisch zu Esther Friedrichsen gesellt, jedoch nach drei Bissen das Essen unterbrochen.
„Reinhold wird die nächste Zeit sicherlich unsere ganze Kraft benötigen. Du solltest wirklich versuchen, zu essen!,“ sprach Esther ihr gut zu.
„Das kann sie nicht“, erwiderte die sonst so wenig sentimentale Ingrid. „Der Tod an sich macht ihr nichts aus, nur die Art und Weise, wie Frieda umkam, macht ihr zu schaffen.“
„Du hast recht. Auf so schreckliche Art zu sterben, hat sie nicht verdient.“
Schweigsam waren sie zusammengesessen und trauerten, jede für sich.
Der Gedenkgottesdienst war für zehn Uhr angesetzt, deshalb fuhr man nach dem schweigsamen Frühstück gemeinsam nach oben; jede hatte sich in ihr Zimmer begeben, um sich auf die Trauerfeierlichkeiten vorzubereiten. Aber da war noch alles in Ordnung gewesen, wusste Esther. Sie hatte sich eine schwarze Bluse und einen schwarzen Faltenrock angezogen, dann war Reinhold zu ihr ins Zimmer getreten. Zur Beruhigung hatte sie ihm einen Passionsblumen-Tee aufgebrüht. Danach waren sie aufgebrochen.
Und da war auch schon das Problem. Bei Reinhold Paulsen eingehängt, um ihm Stütze für seinen schwersten Gang zu sein, traten sie gemeinsam aus dem Zimmer. Esther erinnerte sich an Agathas durchbohrenden Blick. Keinerlei Trauer über Friedas Tod
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