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Tekhnotma - Zeit der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Tekhnotma - Zeit der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: Tekhnotma - Zeit der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aleksei Bobl , Andrei Levitski
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Waggon oder nannten sie es Salon? Ich saß an der Wand auf einer mit Samt überzogenen, abgewetzten Bank. Auf einem ausklappbaren Tischchen neben mir lagen blutige Tupfer und Verbände und einige Glasgefäße, daneben eine Schüssel mit einer Salbe, die nach Teer roch.
    Die gelbe Jacke des Priesters lag auf der anderen Seite auf einer Bank, wo auch ein großer trüber Spiegel hing. Von der mit eisernen Jalousien verhängten Tür, die zum Trittbrett führte, bis hin zu der zweiten, die in Richtung Maschinenraum und Fahrerkabine lag, lief eine Blutspur.
    Neben der Schüssel auf dem Tischchen standen noch ein gesprungenes Glas und ein Flachmann. Ich schraubte ihn auf, roch daran, goss mir das Glas voll mit dunkelrotem Wein und trank ihn in einem Zug aus. Als ich dabei den Kopf nach hinten legte, begann meine linke Seite heftig zu ziehen. Ich stellte das Glas auf den Tisch zurück und betastete den Verband, zog ihn leicht hoch, um darunterzublicken … Ja, Tschak hatte die Wunde offenbar mit einem ziemlich dicken Faden genäht.
    Wie viel Zeit war vergangen? Ich konnte mich dunkel daran erinnern, wie sie mich durch den Wagen geschleift hatten, wie der Zwerg sich über mich gebeugt hatte, an dumpfe Stimmen und ein pulsierendes elektrisches Licht. Und an den heftigen Stoß. Was war das für ein Stoß gewesen, gerade als wir das Depot verließen?
    Jede Bewegung meines linken Arms verursachte Schmerzen in der Seite, daher beschloss ich, die vom Blut völlig versaute Jacke nicht wieder anzuziehen. Ich öffnete das Schloss am Fenster neben mir und schob den eisernen Fensterladen ein Stück auf. Draußen zogen Bäume vorbei. Sie ragten von der Kuppe eines niedrigen Dammes auf, der entlang des Gleisbetts verlief. Hinter dem Damm waren Ruinen zu sehen – ihr Anblick war mir in den wenigen Tagen, seit ich hier war, schon vertraut geworden. Es nieselte, Regentropfen schlugen mir ins Gesicht, die ich mit der Hand wegwischte. Ich schloss den Fensterladen wieder fest.
    Als ich mich im Tempel auf die Suche nach Juna gemacht hatte, war es gegen Abend gewesen. Das Depot hatten wir irgendwann in der Nacht verlassen, und jetzt schien es später Morgen zu sein. Also waren acht bis zehn Stunden vergangen. Ich hatte lange gelegen. Immerhin konnte ich mich wieder auf den Beinen halten und normal denken. Als Leibwächter würde ich im Moment nicht viel taugen, meine Wunde tat höllisch weh, ich konnte den linken Arm kaum bewegen, und an Rennen oder Springen war nicht zu denken.
    Ich füllte das Glas noch mal zu einem Drittel, trank es leer, ließ mich wieder auf die Bank fallen und begann nachzudenken. Na gut, endlich wusste ich, wer er war, dieser Luka Stiditsch. Kurz bevor ich bewusstlos geworden war, hatte ich mich endlich erinnert. Er war Doktor Huberts junger Assistent. Deshalb hatte ich die ganze Zeit das Gefühl gehabt, Stiditsch erst vor Kurzem gesehen zu haben, aber ich konnte ihn einfach nicht einordnen. Für mich waren ja nur ein paar Tage vergangen, er dagegen war in dieser Zeitspanne um dreißig Jahre gealtert.
    Also befand ich mich doch in der Zukunft?
    Nein, das passte nicht richtig zusammen. Überhaupt nicht. Klar, es war möglich, dass Moskau vor dreißig Jahren von radioaktiven Raketen bombardiert worden war. Es war auch möglich, dass die Oka in dieser Zeit ausgetrocknet war und die Welt sich so irrwitzig verändert hatte. Das schon, aber …
    Aber warum konnten die Menschen sich nicht an früher erinnern? Sie wussten von der Zeit vor dem Untergang nur noch aus ein paar alten Büchern. Auf dem Kutter hatte Tschak mir erzählt, dass auch die Kinder der Menschen schon gestorben waren, die diese Katastrophe erlebt hatten. Das bedeutete, dass seither weit mehr als dreißig, ja mehr als fünfzig Jahre vergangen sein mussten. Sonst müsste es noch Überlebende aus dieser Zeit geben. Vielleicht war Luka Stiditsch doch nicht Huberts Assistent? Sondern sein Doppelgänger? Nein, bestimmt nicht, es war dasselbe Gesicht gewesen, nur älter. Vielleicht war Luka der Enkel jenes Assistenten? Aber das erklärte nicht die seltsamen Dinge, die der Opferpriester vor seinem Tod gesagt hatte. Er hatte ausdrücklich gesagt, dass er mich erkannt hatte, sich irgendwie daran erinnerte, mich schon einmal gesehen zu haben.
    Ich massierte mir die Brust. Wie ich es auch drehte und wendete, es gelang mir nicht, das Mosaik zusammenzusetzen. Der Untergang hatte sich nach dem Experiment mit mir ereignet. Aber selbst wenn ich davon ausging, dass er am Tag

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